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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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auch noch nach den dazugehörigen Fingerabdrücken. Allmählich wurde Lena klar, warum Louise ausgerechnet diese Bankfiliale ausgesucht hatte.
    Die Tür sprang mit einem metallischen Klicken auf, und Keller trat rasch zurück. »Ich warte dann draußen. Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
    »Nichts anderes hatte ich vor«, antwortete Louise spröde. »Vielen Dank.«
    Keller wirkte nun vollends hilflos, fuhr auf dem Absatz herum und floh regelrecht aus dem Raum. Louise zog die Schließfachtür auf und nahm eine graue Stahlkassette heraus, die so aussah, als müsste sie mindestens zwei Zentner wiegen. Trotzdem trug sie sie mit einer Hand mühelos zum Tisch.
    Lena stockte fast der Atem, als sie sie öffnete. Sie war buchstäblich randvoll mit Geldbündeln unterschiedlicher Währungen, teuren Uhren, Ringen und Ketten und anderen Schmuckstücken, von denen eines kostbarer aussah als das andere, gleich ganzen Stapeln von Kreditkarten, die mit dünnen Gummibändern zusammengehalten wurden, und transparenten Plastikhüllen, die offensichtlich irgendwelche Wertpapiere enthielten.
Louise schaufelte alles scheinbar achtlos in die beiden großen Reisetaschen, die sie mitgebracht hatte, und nahm schließlich noch ein gutes Dutzend Pässe verschiedener Nationalitäten heraus, die auf dem Boden der Stahlkassette lagen.
    »Für dich ist keiner dabei«, sagte sie, als sie Lenas erstaunten Blick bemerkte. »Aber wenn wir in Paris ankommen, liegt dein neuer Pass schon bereit. Irgendwelche Wünsche, wie du heißen willst?«
    Lena ignorierte die Frage. »Dein Hartz-IV-Antrag würde abgelehnt werden, vermute ich«, sagte sie trocken.
    »Ich habe noch einen kleinen Notgroschen auf dem einen oder anderen Konto«, antwortete Louise gelassen, »aber in manchen Situationen ist Bargeld immer noch das Beste. Es hinterlässt nämlich keine Spuren.« Sie trug die Kassette zum Schließfach zurück, verriegelte es sorgfältig und schloss dann die Faust um den überdimensionalen Schlüssel. »Das war’s. Wir sollten los. Wir haben eine ziemlich lange Fahrt vor uns.«
    Charlotte hängte sich eine der beiden Reisetaschen über die Schulter. Louise machte keine Anstalten, nach der anderen zu greifen, so dass Lena es an ihrer Stelle tat. Wortlos verließen sie den Tresorraum, warteten, bis Keller die Tür wieder abgesperrt hatte, und folgten ihm dann nach oben.
    »Geht schon mal zum Wagen«, sagte Louise. »Ich habe noch eine Kleinigkeit mit Herrn Keller zu besprechen.«
    »Und was?«, fragte Lena erschrocken.
    »Geschäfte, Liebes«, antwortete Louise. »Nur langweiliges Zeug, das dich bestimmt nicht interessiert.« Sie wedelte ungeduldig mit der Hand. »Es dauert nicht lange. Du kannst schon mal das Navi programmieren. Charlotte sagt dir die Adresse.«
    »Aber du wirst nicht …«, begann Lena, aber Charlotte packte sie einfach am Arm und zog sie so grob mit sich, dass sie hinter ihr herstolperte. Erst als sie die Bank verlassen hatten und
auf halbem Weg zum Wagen waren, gelang es ihr, sich loszureißen, und sie blieb stehen.
    »Sie wird ihn umbringen!«, sagte sie aufgebracht. »Charlotte, sie wird ihn töten! Wir müssen das verhindern!«
    »Warum sprichst du nicht noch ein bisschen lauter?«, sagte Charlotte. »Es könnte immerhin sein, dass irgendjemand in dieser Straße dich noch nicht richtig verstanden hat.«
    »Aber wir können doch nicht …«
    Charlotte packte sie nun noch derber am Arm, zerrte sie hinter sich her und stieß sie so unsanft auf den Beifahrersitz des Hummer, dass Lena die Tasche von der Schulter rutschte und sich ein Teil des Inhalts auf den Boden ergoss. Der ganze Wagen wackelte, als Charlotte hinter ihr einstieg und die Tür wütend zuknallte.
    »Du hast es immer noch nicht begriffen, wie?«, fauchte sie.
    »Was?«, erwiderte Lena zornig. »Dass ihr Menschen umbringt, wie es euch gerade passt?«
    »Dass wir Raubtiere sind, Kleines«, sagte Charlotte verächtlich. »Wir , nicht ihr . Du gehörst zu uns, ob es dir nun gefällt oder nicht. Es gibt kein Zurück mehr, warum siehst du das nicht endlich ein?«
    »Vielleicht weil mich niemand gefragt hat?«
    »Ich weiß.« Charlotte seufzte. Sie wirkte immer noch wütend, zugleich aber auch traurig. »Das war Noras Entscheidung. Sie hatte kein Recht dazu. Aber sie hat es nun einmal getan, und du wirst damit leben müssen.«
    »Und wenn ich das nicht kann?«
    »Ich fürchte, diese Wahl hast du nicht«, antwortete Charlotte. Ihre Stimme wurde weich. »Glaub mir, ich weiß, wie du dich

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