Wir sind die Nacht
Russen-Gang. Aber Louise und er haben ziemlich schnell begriffen, dass wir alle nur verlieren können, wenn sie sich gegenseitig an die Kehlen gehen.«
»Aber Anton ist sie an die Kehle gegangen«, vermutete Lena.
»Louise?« Charlotte lachte leise, aber ohne echten Humor. »Nein. Man kann Louise eine Menge nachsagen, aber schlechter Geschmack gehört nicht dazu. Und das letzte Mal, dass sie sich für einen Mann interessiert hat, hat sie ihn wahrscheinlich aus einer Höhle gezerrt oder von einem Baum herunter.«
»Was ist dann passiert?«, fragte Lena.
»Nora hat sich in ihn verliebt«, antwortete Charlotte. »Frag
mich nicht, was sie an diesem Idioten gefunden hat, aber sie war ganz vernarrt in ihn. Und zu seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag hat sie ihm dann ein ganz besonderes Geschenk gemacht.«
»Weiß Louise …«, begann Lena, schluckte trocken und setzte dann neu an. »Wusste Louise davon?«
»Louise weiß alles«, sagte Charlotte leise. »Sie hat so getan, als hätte sie es nicht gemerkt, und Nora und ich haben so getan, als wüssten wir nicht, dass sie es weiß. Aber irgendwann musste es wohl so kommen.«
Lena setzte sich neben sie. Charlotte maß sie mit einem seltsamen Blick und rückte dann demonstrativ ein Stück von ihr weg.
»Habt ihr euch deshalb gestritten?«, fragte Lena. »Wegen Nora und Anton?«
»Nora war außer Kontrolle«, antwortete Charlotte. »Schon seit einer ganzen Weile. Vielleicht von Anfang an.« Sie trat ihre Zigarette auf dem Boden aus und zündete sich sofort eine neue an, bevor sie fortfuhr. »Louise hätte sie niemals zu einer von uns machen dürfen.«
»Und du redest zu viel, Liebes.«
Louise stand unter der Tür, und ein einziger Blick in ihr Gesicht machte Lena klar, dass sie jedes Wort gehört hatte. Ihre Augen loderten vor Zorn. »Nichts von alledem wäre passiert, wenn sich unser Nesthäkchen nicht in diesen süßen kleinen Polizisten verguckt hätte.«
»Das ist nicht wahr, und das weißt du«, sagte Charlotte.
»Ach nein?« Louise fuchtelte aufgeregt mit einem Handy herum, das sie in der Linken hielt. »Die Bullen sind aufgetaucht, weil sie unbedingt mit ihrem Herzallerliebsten telefonieren musste! Wahrscheinlich haben sie keine fünf Sekunden gebraucht, um die Nummer zurückzuverfolgen und sich auf den Weg zu uns zu machen!«
»Zwanzig Mann hoch, oder dreißig?«
»Was weiß ich, was in deren Köpfen vorgeht!«, fauchte Louise.
»Und Anton haben sie gleich mitgebracht«, sagte Charlotte spöttisch. »Als Verstärkung sozusagen.«
Louise überging den Einwurf. Der Zorn auf ihrem Gesicht nahm noch weiter zu, als sie sich direkt an Lena wandte. »Nora ist tot, und das nur deinetwegen, ich hoffe, das ist dir klar!«
»Louise, das ist Unsinn«, sagte Charlotte.
»Unsinn?« Louise schrie fast. »Nora ist tot, und das nur weil sie …«
»Weil sie sich nicht mehr unter Kontrolle hatte, und das schon seit Jahren«, fiel ihr Charlotte ins Wort. »Und das weißt du verdammt genau! Früher oder später musste so etwas passieren! Wir können von Glück sagen, dass es so ausgegangen ist. Wir hätten jetzt alle tot sein können!«
»Waren wir das denn nicht?«, fragte Lena.
In ihr rührten sich Erinnerungen, die sie nicht haben wollte. Sie war bewusstlos gewesen, aber nicht so tief, dass da nicht Bilder waren, und Dinge, die sie zutiefst erschreckten. Sie verscheuchte sie hastig.
Louise fuhr wie eine angreifende Schlange mit dem dazu passenden Zischen herum. Ihre Augen schienen in schwarzem Feuer zu glühen.
»Noch nicht ganz«, fauchte sie. »Aber du …« Sie brach ab, presste die Kiefer so fest zusammen, dass Lena ihre Zähne knirschen hörte, und entspannte sich dann ebenso plötzlich wieder. »Es tut mir leid«, sagte sie zu Charlotte. »Du … hast recht.«
»Natürlich habe ich das. Und davon abgesehen war es schon lange an der Zeit, dass wir von hier verschwinden.« Sie hob in einer fast trotzig aussehenden Bewegung die Schultern. »Wir dürfen nicht zu lange an einem Ort bleiben. Deine Worte, Louise.«
Louise schwieg. Der Zorn war aus ihrem Gesicht gewichen,
aber das schwarze Feuer loderte weiter in ihren Augen. Schließlich nickte sie. »Du hast recht«, sagte sie noch einmal. »Es tut mir leid.«
Unbehagliches Schweigen breitete sich in dem kleinen verräucherten Zimmer aus, und schließlich räusperte sich Lena. »Und was … tun wir jetzt?«
»Dasselbe wie heute Morgen«, antwortete Louise. Ihr Blick ließ den Charlottes nicht los, und Lena
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