Wir sind die Nacht
gemerkt, was los ist, als wir das Platschen gehört haben, und im nächsten Moment gab’s auch schon’nen Riesenknall, als der Flieger in den See gestürzt ist.«
»Die Polizei hat keine Fallschirme gefunden«, sagte der Reporter.
»Dann haben die eben nicht richtig gesucht«, antwortete Pickelgesicht trotzig. »Oder die Ladys haben sie mitgenommen - verdammt, woher soll ich denn wissen, was für eine schräge Kiste hier abgeht?« Etwas in seinem Blick änderte sich. Vielleicht begann ihm allmählich zu dämmern, dass er gerade kräftig in die Pfanne gehauen wurde. »Vielleicht haben die drei ja’nen ganz coolen Versicherungsbetrug durchgezogen oder sonst
was. Jedenfalls haben wir sie gesehen! Und Toni ist auch gleich hingelaufen, um mit ihnen zu reden.«
»Toni?«
»Mein Kumpel. Wir haben hier gezeltet. Wollten uns’nen lustigen Abend machen. Um ehrlich zu sein, ich war so platt, dass ich mich gar nicht rühren konnte, aber Toni ist sofort los. Er hat mit einer von denen gesprochen. Dem Superweib. Ich hab sie nur von Weitem gesehen, aber he, das war …«
»Ihr Freund Toni hat also mit der Frau gesprochen«, unterbrach ihn der Reporter. »Und wo ist er jetzt? Sein Bericht würde unsere Zuschauer bestimmt interessieren.«
»Keine Ahnung«, antwortete Pickelgesicht. »Ist mit ihr weggegangen. Ich hab nach ihm gesucht, aber er ist weg.« Plötzlich grinste er breit. »Ich kann’s ihm nicht mal wirklich übel nehmen, so scharf, wie die Kleine ausgesehen hat.«
»Was für ein Idiot«, sagte eine Stimme hinter ihr, und Lena fuhr so erschrocken zusammen, dass sie um ein Haar die Fernbedienung hätte fallen lassen.
»Der Blödmann erzählt wahrscheinlich jedem ganz stolz, dass er im Fernsehen war, und merkt nicht einmal, dass er sich zum Affen macht«, fuhr Holden fort.
»Raus!«, fuhr Lena ihn an. Sie schrie fast. »Verschwinden Sie aus meinem Zimmer! Sofort!« Für einen Moment drohte sie in Panik zu geraten. Was tat er hier drinnen? Holden hatte kein Recht, in diesem Zimmer zu sein! Niemand hatte das, und er am allerwenigsten! Wenn er auch nur noch einen einzigen Schritt näher kam - auch nur noch einen einzigen Zentimeter! -, dann würde sie sich einfach auf ihn stürzen und ihm die verdammten Augen auskratzen, ganz egal, was danach passierte!
Etwas von ihren wahren Gefühlen musste sich wohl deutlich auf ihrem Gesicht abzeichnen, denn Holden wirkte mit einem Mal unsicher. Er wich einen halben Schritt vor ihr zurück und
hob in wahrscheinlich nicht nur geschauspielerter Furcht die Hände.
»He, Prinzesschen, nur keinen Stress! Ich wollte dir nicht zu nahe treten, sondern mich einfach nur verabschieden.«
»Das haben Sie ja jetzt getan!«, fauchte Lena. Die Panik war noch immer da. Ihr Herz klopfte.
»Und dich natürlich an unsere Verabredung morgen erinnern«, setzte Holden hinzu. Er hatte sich wieder gefangen. »Ich schlage vor, du kommst um fünf in mein Büro … oder besser um halb fünf. Morgen ist der monatliche Bericht fürs Jugendgericht fällig, und vorher würde ich mich gern noch mit dir unterhalten. Aber keine Sorge - ich bin mir ganz sicher, dass er gut ausfallen wird. Wie immer.«
Lena starrte ihn an. Im Fernsehen plapperte der Junge noch mehr Unsinn, aber sie hörte gar nicht mehr hin. Sie musste plötzlich all ihre Willenskraft aufbieten, um die Tränen zurückzuhalten, Tränen der Wut, nicht der Angst. Natürlich sah Holden das nasse Schimmern ihrer Augen, und natürlich deutete er es falsch, aber das sollte ihr nur recht sein.
»Dann sehen wir uns also morgen.« Holden nickte zum Abschied und legte rückwärts gehend die Hand auf die Türklinke. »Gute Nacht, Prinzessin.«
Die Tür fiel ins Schloss. Hinter ihr plapperte der Fernseher weiter, aber das nahm sie nicht mehr wahr.
Woher zum Teufel sollte sie bis morgen Abend dreihundert Euro nehmen?
Gedankenverloren starrte sie aus dem Fenster und stellte wenig überrascht fest, dass der Roller verschwunden war - und es schien ihr, als hätte sich damit ihr Glück jetzt komplett aus dem Staub gemacht.
5
Sie hätte das Kleid da lassen sollen, wo es war (und sich selbst auch, nebenbei bemerkt), denn die Temperaturen waren seit dem Nachmittag um gefühlte fünfzig Grad Celsius gefallen. Sie zitterte mittlerweile am ganzen Leib, und ihre nackten Füße verwandelten sich langsam in etwas, was gut zwei taube Eisklumpen hätte sein können, hätten sie nicht zugleich so wehgetan, als stünde sie auf spitzen Nägeln. Auf glühenden spitzen
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