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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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ihre Augen, und der Hals war jetzt so geschwollen, dass sich jeder einzelne Atemzug anfühlte, als würde sie einen Streifen grobes Schmirgelpapier hinunterschlucken. Ihr Bettzeug fühlte sich kalt und klamm an und roch so durchdringend nach ihrem Schweiß, dass ihr allein davon fast schon wieder übel wurde. Ihr Herz schlug ganz langsam, dafür aber so hart, dass sie es bis in die Finger- und Zehenspitzen fühlen konnte.
    Krank, dachte sie benommen. Sie war krank. Sie musste zu einem Arzt. Aber sie konnte nicht aufstehen. Ihre Kraft reichte noch nicht einmal, um sich aus der durchgeschwitzten Decke zu befreien, in die sie sich gewickelt hatte. Der Kopf drohte ihr vor Schmerz zu platzen, und in das schwere Schlagen ihres Herzens mischte sich jetzt auch noch ein anderes rhythmisches Hämmern, wie um sie vollends in den Wahnsinn zu treiben.
    Sie versuchte noch einmal, die Augen zu öffnen, und diesmal war der Schmerz so schlimm, dass ein leises Wimmern über ihre zusammengepressten Lippen kam.
    Etwas änderte sich. Lena konnte im ersten Moment nicht
sagen, was, aber da war ein Schatten, der hier nicht sein sollte, und murmelnde Stimmen. Schritte.
    »… dir doch gesagt, dass sie krank ist. Und sie mag es nicht, wenn man in ihr Zimmer geht. Nicht mal ich tu das.«
    Das war die Stimme ihrer Mutter, und obwohl sich Lenas Gedanken noch immer träge durch einen Brei aus Fieber und völlig sinnlosen Bildern und in Stücke gerissenen und falsch wieder zusammengesetzten Erinnerungen quälten, war irgendetwas an diesen Worten, was sie empörte, auch wenn sie nicht wusste, was.
    Polternde Schritte wie von schweren Stiefeln näherten sich, und obwohl sie die Augen fest geschlossen hielt, um dem quälenden Licht zu entgehen, spürte sie, wie sich jemand über sie beugte.
    »Scheint tatsächlich zu stimmen«, sagte eine andere Stimme. Sie sollte wissen, wem sie gehörte, aber es gelang ihr einfach nicht, sie zu erkennen. Aber ihre bloße Anwesenheit hier drinnen war falsch. So falsch, wie es nur ging. »Vielleicht liegt es ja auch nur an dem Gestank hier drinnen. Mein Gott, was für ein Saustall! Wie kann man so leben?«
    »Ist Lenas Zimmer«, antwortete ihre Mutter. »Sie hat mir verboten, es zu betreten. Eigentlich hat sie es jedem verboten. Ich glaub auch nicht, dass sie besonders glücklich ist, wenn du …«
    »… mich um sie kümmere? Scheiße, deine Tochter könnte hier drinnen abkratzen, und du würdest es nicht einmal merken!«
    »Aber sie hat gesagt, dass niemand …«, sagte ihre Mutter, und die fremde Stimme, die sie nach wie vor keinem Gesicht zuordnen konnte, die aber immer unangenehmere Assoziationen in ihr weckte, unterbrach sie erneut:
    »Geh in die Küche, und mach einen Kaffee oder Tee, oder was immer sie trinkt. Ich kümmere mich schon um sie. Zuallererst lasse ich mal frische Luft in dieses Dreckloch.«

    Wieder polterten Schritte, dann wurden die Vorhänge mit einem Ruck zur Seite gezogen und das Fenster geöffnet. Selbst durch die geschlossenen Lider hindurch war das Gleißen des Sonnenlichts so unerträglich, dass Lena vor Schmerz aufstöhnte und die Decke noch weiter hochzog.
    »Du bist also wach«, sagte Holden. »Immerhin.«
    Er sollte nicht hier sein. Von allen Menschen auf der Welt hatte er das wenigste Recht, dieses Zimmer zu betreten, aber sie war zu schwach, um gegen seine Anwesenheit zu protestieren. Sie versuchte die Augen zu öffnen, um zu ihm hochzusehen, aber es ging nicht. Das Licht war endgültig zu ihrem Feind geworden und ergoss sich wie flüssige Säure über ihr Gesicht.
    »Der Vorhang«, nuschelte sie. »Bitte zumachen.«
    »Hast du was gegen frische Luft?«, fragte Holden.
    »Das Licht«, antwortete sie. Das Sprechen bereitete ihr Mühe, aber die Schmerzen halfen ihr auch irgendwie, sich im Bewusstsein festzuklammern und nicht wieder in dem Strudel aus Fieberfantasien zu versinken, aus dem sie sich gerade erst emporgekämpft hatte. »Es tut … weh.«
    Holden sagte nichts dazu, aber nach einigen Sekunden hörte sie, wie er wieder zum Fenster zurückging und die Vorhänge zuzog. Der grausame Schmerz auf ihrem Gesicht erlosch, wenn auch nicht völlig.
    »Was ist los mit dir, Lenalein?«, sagte Holden. Sie konnte hören, wie er sich gegen ihren wackeligen Schreibtisch lehnte. Das schwere Leder seiner Jacke knarrte, als er wohl seine Lieblingsposition einnahm. »Wir waren vor zwei Stunden verabredet, hast du das etwa vergessen?«
    »Krank«, brachte Lena irgendwie heraus. Ihr war

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