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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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mit hohem Fieber hier gelegen. Ihr Körper brauchte dringend Flüssigkeit, das war jetzt das Allerwichtigste. Über eine gewisse durchgeknallte Club-Besitzerin, die sich anscheinend für Draculine hielt, konnte sie sich später noch den Kopf zerbrechen.
    Wenn sie das Zimmer verließ, dann musste sie allerdings durch den Wohnraum, in dem es keine Gardinen gab, und das Licht dort draußen würde sie töten. Sie würde warten müssen, bis es vollends dunkel geworden war.
    Aber der Durst war auf einmal kaum zu ertragen. Sie hielt noch ein paar endlose quälende Minuten lang aus, bis sie zu dem Schluss kam, dass es vermutlich einerlei war, ob nun die Sonne sie verzehrte oder ob sie innerlich verbrannte.
    Unsicher stemmte sie sich in die Höhe, wickelte sich in die zerschlissene Decke und presste noch einmal das Ohr gegen die Tür, um zu lauschen. Der Fernseher lief, aber von ihrer Mutter war nichts zu hören. Vielleicht hatte sie Glück, und es handelte sich um eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen ihre Mutter das Haus verließ (vorzugsweise, um Bier oder Zigaretten zu kaufen). Vielleicht war sie auch eingeschlafen, aber dieses Risiko musste Lena eingehen.
    Sie schlug die Decke wie eine Kapuze über das Gesicht, riss die Tür auf und stürmte mit gesenktem Kopf los, das Gesicht vom Fenster weggedreht. Ihre Mutter lag auf der Couch und schlief. Lena konnte ihr unrhythmisches Schnarchen hören, als sie an ihr vorbeistürzte und die winzige Küche ansteuerte. Die Decke schützte sie vor dem Schlimmsten, aber die Helligkeit hier draußen war so grausam, dass sie am liebsten aufgeschrien hätte. Ihre nackten Füße und der untere Teil der Waden schienen in Flammen aufzugehen. Die Decke war viel zu dünn. Sie konnte spüren, wie das Sonnenlicht dem Feuerstrahl eines Flammenwerfers gleich, gegen den sie sich mit
dünner Aluminiumfolie zu schützen versuchte, dagegen anrannte.
    Dann war sie hindurch, torkelte in die Küche und ließ sich schwer atmend in den Schatten neben der Tür sinken. Es gab auch hier keine Gardinen, aber die Sonne schien nicht unmittelbar ins Fenster. Die Helligkeit war zwar unangenehm, schien aber keine Gefahr darzustellen. Wenigstens versuchte das Tageslicht nicht, ihr das Fleisch von den Knochen zu brennen.
    Sie trat an den Kühlschrank, riss die Tür auf und erblickte genau das, was sie sich hätte denken können: Bier, Unmengen von Süßigkeiten, Cola und Joghurts und noch mehr Bier, und in einer zerknitterten Zellophantüte ein kümmerliches Stück Fleisch, das aussah, als wäre das Tier, zu dem es einmal gehört hatte, schon vor etlichen Monaten gestorben, und noch mehr Bier. Lena verabscheute Bier. Sie war so durstig wie noch nie zuvor in ihrem Leben, aber sie ahnte auch, dass ihr übel werden würde, wenn sie sich an irgendetwas von diesem … Zeug vergriff.
    Sie schlug die Kühlschranktür zu und wickelte sich wieder fest in ihre Decke, um ins Bad zu stürmen. In dem schäbigen Raum stützte sie sich einen Moment lang schwer auf den Waschbeckenrand und drehte dann mit zitternden Fingern den Hahn auf, um sich mit beiden Händen Wasser ins Gesicht zu schöpfen. Danach trank sie, ausgiebig und mit großen, gierigen Schlucken.
    Es wurde nicht besser. Sie konnte spüren, wie das Wasser ihren Magen füllte, aber dieses Gefühl war … falsch. Wie etwas, was nicht dorthin gehörte. Und das auch ihren Durst ganz bestimmt nicht löschen würde. Sie hatte mindestens einen Liter Wasser getrunken, aber ihre Kehle fühlte sich immer noch so ausgedörrt an, als käme sie geradewegs aus der Wüste. Sie brauchte etwas anderes. Etwas, von dem sie allerdings nicht wusste, was es war.

    Aber ihr Körper wusste es.
    Sie konnte nicht sagen, wie sie zurück in die Küche gekommen war, aber sie fand sich vor dem Kühlschrank kniend wieder, nur mit ihrem Slip bekleidet und ihre Haut an zahllosen Stellen glühend. Bier- und Coladosen flogen achtlos hinter sie, gefolgt von gammeligem Obst und einem Joghurtbecher, der an der Wand hinter ihr aufplatzte. Dann riss sie die Plastiktüte auf, zerrte das Stück rohe Leber heraus und schlug gierig die Zähne in das blutige Fleisch. Es war so zäh, dass es ihr nicht gelang, ein Stück davon abzureißen, aber das kalte Blut rann wie der köstlichste aller Weine in ihren Mund und ihre Kehle hinab, und es schmeckte bitter und alt und muffig und zugleich unvorstellbar lebendig . Eine Woge aus reiner Kraft explodierte in ihrem gesamten Körper, kaum dass der erste Tropfen den Magen

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