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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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entfernt, was ihre Mutter als ihr Zuhause bezeichnete, und sie spürte, dass Nora auch in einem anderen Punkt die Wahrheit gesagt hatte: Die geliehene Kraft begann bereits wieder nachzulassen. Sie fühlte sich schlecht.
    Nora sah sie zweifelnd an, lenkte den Wagen dann aber gehorsam an den Straßenrand und brachte ihn fast sanft zum Stehen.
    »Bist du dir sicher?«
    »Wenn meine Mutter mich aus dieser Karre steigen sieht, dann fantasiert sie sich das wildeste Zeug zusammen, und ich habe wochenlang keine ruhige Minute mehr«, antwortete sie. »Und ein bisschen frische Luft kann ich sowieso gebrauchen.«
    »Du denkst daran, was ich dir gesagt habe?«, sagte Nora. Sie wirkte nicht überzeugt.
    »Die paar Meter schaffe ich schon«, antwortete Lena mit einem Optimismus, den sie ganz und gar nicht empfand.
    Nora blickte nun noch zweifelnder, erwiderte aber nichts mehr darauf.
    Lena streckte die Hand nach dem Türgriff aus, zögerte kurz und wandte sich noch einmal an Nora. »Was wollte Tom von euch?«
    »Tom?«

    »Der Polizist, gestern Abend. Du hast ihn abgelenkt, damit ich verschwinden kann.«
    »Ach, den meinst du«, sagte Nora mit schlecht geschauspielerter Überraschung. »Den Süßen. Ihr nennt euch also schon beim Vornamen. Ich kann dich irgendwie verstehen. Er ist wirklich niedlich … für einen Mann.«
    »Warum war er im Club?«, beharrte Lena.
    »Nicht deinetwegen«, sagte Nora, »auch wenn dich das enttäuschen sollte. Ich weiß nicht, was er wollte. Ich habe ihn ein paar Minuten hingehalten, und danach hat er mit Louise gesprochen. Ich habe keine Ahnung, worüber.«
    »Weil sie es dir nicht gesagt hat?«
    »Weil es mich nicht interessiert.« Nora seufzte. »Das Geschäft ist Louises Ding, nicht meins.«
    »Die Polizei schnüffelt in eurem Club herum, und dich interessiert nicht, warum?«, fragte Lena. Ihr Magen tat weh, und sie spürte, dass auch die Übelkeit zurückkommen würde.
    »Louise leitet einen Nachtclub, Schätzchen«, sagte Nora. »Da bleibt es nicht aus, dass man es auch mit Leuten zu tun bekommt, die nicht so grundehrlich sind wie du und ich … Was aber nicht bedeutet, dass wir etwas mit ihren Geschäften zu tun haben.«
    »Weil ihr drei so grundanständig seid«, sagte Lena.
    »Weil Louise niemals etwas tun würde, was die Neugier der Polizei erregt«, antwortete Nora ernst. »Wir legen keinen sonderlichen Wert darauf, zu viele dumme Fragen beantworten zu müssen, wie du dir ja vielleicht denken kannst. Wie ist es? Soll ich dich nicht doch bis vors Haus fahren? Dauert eine Minute … und ich mache auch keinen unnötigen Lärm, das verspreche ich.«
    Lena öffnete kommentarlos die Tür und stieg aus. Nora wartete, bis sie sich ein paar Schritte weit entfernt hatte, und fuhr dann los; selbstverständlich, um am Ende der Straße mit
einem Powerslide zu wenden und auch noch das restliche Profil auf dem Kopfsteinpflaster zurückzulassen. Sehr unauffällig. Wirklich.
    Lena sah ihr nach, bis die Rücklichter des Porsche hinter der nächsten Abzweigung verschwunden waren, drehte sich dann um und nahm das letzte Stück des Weges in Angriff.
    Schon nach den ersten Schritten kamen ihr die ersten Zweifel, ob es wirklich klug gewesen war, Noras Angebot auszuschlagen, sie ganz nach Hause zu fahren. Sie aus einem schwarzen Carrera aussteigen zu sehen würde zwar nicht nur die Fantasie ihrer Mutter zu ungeahnten Höchstleistungen anspornen, sondern auch die Holdens - aber sie war sich inzwischen überhaupt nicht mehr sicher, ob sie es wirklich bis nach Hause schaffte. Ihr war übel, und ihr Magen schmerzte jetzt so sehr, dass sie nur noch unter Aufbietung großer Willenskraft nach vorn gebeugt gehen konnte. Sie war eindeutig auf Entzug, und sie fragte sich, ob sie tatsächlich die Kraft aufbringen würde, diese Hölle zwei oder drei Tage lang durchzustehen … und ob Nora überhaupt die Wahrheit gesagt hatte. Vielleicht gab es ja gar kein Zurück mehr.
    Der für diese Gegend gänzlich unpassende Wagen fiel ihr im gleichen Moment auf, in dem sie die Schritte hinter sich hörte. Vielleicht machte sie ja auch das eine auf das andere aufmerksam, aber es wäre ohnehin zu spät gewesen. Sie fuhr herum, sah eine riesige Gestalt über sich aufragen und machte eine instinktive Bewegung mit beiden Amen, um ihr Gesicht zu schützen.
    Unglückseligerweise zielte die Faust des Riesen auf ihren Magen. Aber vielleicht war das auch ihr Glück, denn so war sie für die nächsten ein, zwei Stunden wenigstens die Krämpfe und

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