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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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schnaubte sie. »Ich verschwinde jetzt von hier. Ihr seid ja … völlig durchgeknallt.«
    Sie drehte sich um, aber Charlotte, die gerade noch auf der anderen Seite des Tischs gewesen war, tauchte wie aus dem Nichts neben ihr auf und hielt sie fest.
    »In dem Zustand schaffst du es nicht einmal über die Straße«, sagte sie. Lena fühlte sich nicht in der Verfassung, ihr zu widersprechen. »Ich fahre dich nach Hause.«

    »Das kann Nora tun«, sagte Louise. »Ich habe noch etwas mit dir zu besprechen.«
    Charlotte sah sie stirnrunzelnd an, aber es war nicht zu erkennen, ob sie erschrocken oder verärgert war. Lena fühlte sich auch viel zu elend, um darüber nachzudenken. Sie registrierte kaum noch, dass Nora Charlottes Platz einnahm und sie stützte.
    »Es tut mir wirklich leid, dass du es so erfahren musst, Lena«, fuhr Louise fort. »Aber wahrscheinlich geht es nicht anders. Der erste Tag ist immer schlimm.«
    Charlotte machte ein Gesicht, als wollte sie etwas dazu sagen, hob dann aber nur die Schultern und setzte sich, um weiter in ihrem Buch zu lesen, als wäre nichts geschehen.
    »Nora bringt dich nach Hause«, sagte Louise. »Und hab keine Angst. Wir passen auf dich auf.«
    »Ja, danke«, murmelte Lena. »Darauf kann ich verzichten.«
    Louise sagte nichts mehr dazu. Sie wirkte ein bisschen verletzt. Charlotte blätterte eine Seite in ihrem Buch weiter.
    »Komm«, sagte Nora. Sie führte Lena zurück zum Ausgang, wo sie ihre Hand losließ. Dann schüttelte sie kurz den Kopf. »Warte hier. Ich bin gleich zurück.«
    Wohin sollte sie schon gehen?, dachte Lena matt.
    Erschöpft lehnte sie sich gegen die Wand, schloss die Augen und verfolgte mit einer Art absurdem wissenschaftlichem Interesse den stummen Zweikampf zwischen Übelkeit, Krämpfen und noch etwas anderem, nie Gekanntem in sich. Nora hatte völlig recht: Sie konnte nicht zu einem Arzt, weil der sie nur fragen würde, unter welcher Art von Entzug sie litt. Und bei einer ehrlichen Antwort würde er sie womöglich in die nächste Klapsmühle einweisen.
    Vielleicht wäre das sogar das Beste, flüsterte eine dünne hysterische Stimme irgendwo in ihren Gedanken. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht, aber vielleicht war es weniger ihr
Körper, um den sie sich Sorgen machen sollte. Vampire? Lächerlich!
    Es vergingen ein paar Minuten, bis Nora zurückkam - jetzt von Kopf bis Fuß in glänzendes schwarzes Leder gehüllt, dessen Farbe perfekt mit der ihres Haares korrespondierte. Sie schwenkte einen Autoschlüssel. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war so aufgekratzt fröhlich, dass Lena beinahe wieder schlecht wurde.
    »Bist du so weit?«, fragte Nora.
    Lena stieß sich schwächlich von der Wand ab, an der sie lehnte, und griff dankbar nach Noras ausgestreckter linker Hand.
    Die Nacht kam ihr jetzt dunkler vor, als sie nebeneinander die kurze Treppe zum Parkplatz hinuntergingen, und deutlich kälter. Vorhin, als sie gekommen war, da war ihr die Dunkelheit wie ein Verbündeter vorgekommen, etwas, was ihr Sicherheit und ein Versteck bot. Jetzt schien sie zu ihrem Feind geworden zu sein. Unsichtbare, flüsternde Dinge verbargen sich darin, gefährliche Dinge, vor denen es kein Entkommen gab.
    »Steig ein.«
    Nora ließ Lenas Hand los und öffnete die Tür eines schwarzen Porsche, den Lena erst jetzt bemerkte, bugsierte sie vorsichtig auf den Beifahrersitz und warf die Tür mit einem Knall hinter ihr zu, der in Lenas überempfindlich gewordenem Gehör wie ein Kanonenschuss dröhnte. Beinahe noch schlimmer empfand sie das Aufbrüllen des Motors, als Nora neben ihr Platz nahm, den Zündschlüssel drehte und unnötig viel Gas gab. Der Porsche wendete mit durchdrehenden Hinterreifen nahezu auf der Stelle und schoss dann quer über den Parkplatz. Erst als der Wagen mit einem Satz, der Lenas Zähne schmerzhaft aufeinanderschlagen ließ, auf die Straße hinausschoss, nahm sie den Fuß vom Gas und jagte den Porsche mit lediglich dem Doppelten der erlaubten Höchstgeschwindigkeit über die leere Straße.

    »Hast du keine Angst um deinen Führerschein?«, murmelte Lena matt.
    »Wieso?« Nora schüttelte lachend den Kopf. »Den kann man mir nicht wegnehmen, keine Sorge.«
    »Weil du keinen hast?«, sagte Lena.
    »Auch.«
    »Dann nimm wenigstens Rücksicht auf mich.« Lena war übel, was eigentlich nicht an Noras halsbrecherischem Fahrstil lag, aber der machte es auch nicht unbedingt besser.
    Nora maß sie mit einem langen Blick, löste dann die rechte Hand vom Lenkrad und zog

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