Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
Vom Netzwerk:
hier auf zwei Arten hinter uns bringen, Mädchen«, sagte der Russe mit einem charmanten Lächeln. »Du sagst mir, was ich wissen will, und danach haben wir ein bisschen Spaß miteinander, oder ich habe zuerst ein bisschen Spaß mit dir, und du sagst mir dann, was ich wissen will. Und? Was ist dir lieber?«
    »Ich weiß ja nicht einmal, was du wissen willst«, antwortete Lena. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie musste hier raus, ganz egal, wie. Wenn Louise sie wirklich zu einer Vampirin gemacht hatte, wo bitte schön waren dann ihre Vampirkräfte? Wieso konnte sie ihn nicht einfach in Stücke reißen oder sich
unsichtbar machen oder sich wenigstens in eine Fledermaus verwandeln und einfach wegfliegen?
    Sie wusste zwar, wie närrisch das war, aber sie lauschte trotzdem konzentriert in sich hinein. Doch alles, was sie fand, war ein schier unendlicher Ozean aus Angst.
    »Eigentlich nicht viel«, sagte der Russe. »Sag mir, wo meine Brieftasche ist, und es wird nicht so schlimm für dich. Du hast diesmal wirklich den Falschen beklaut. Pech.«
    »Ich stehle nicht«, sagte Lena automatisch. »Und dich hab ich noch nie zuvor gesehen.«
    Ein paar endlose Sekunden lang sah der Russe sie nur an. Sein charmantes Lächeln und seine gepflegte Aussprache waren die eines perfekten Gentlemans, aber hinter dieser Maske war er nichts als ein Ungeheuer. Sie konnte es riechen.
    »Ich weiß nicht einmal, ob ich wirklich enttäuscht bin, Mädchen«, sagte er. »Aber so machst du es mir nur leichter, weißt du?« Er knöpfte sein Hemd auf und gewährte Lena dabei einen Blick auf den muskulösesten Oberkörper, den sie jemals in natura gesehen hatte. »Also haben wir erst mal ein bisschen Spaß miteinander, nicht? Oder wenigstens ich mit dir.«
    Lena starrte ihn an. Das war kein Spiel mehr, sondern tödlicher Ernst. Es würde nicht damit erledigt sein, dass dieser Kerl sie verprügelte oder auch nur ein bisschen Spaß mit ihr hatte. Er würde sie umbringen, ganz egal, ob sie seine Fragen beantwortete oder nicht. Ganz einfach, weil es ihm Spaß machte.
    Lena stürzte ohne Vorwarnung vor, deutete einen Hieb gegen seine Kehle an und riss gleichzeitig das Knie in die Höhe, um es ihm zwischen die Beine zu rammen, aber der Russe schlug ihr so hart den Handrücken ins Gesicht, dass sie gegen die Wand geschleudert wurde und benommen zu Boden ging. Ein paar Atemzüge lang musste sie dagegen ankämpfen, das Bewusstsein zu verlieren. Der ganze Raum drehte sich. Ihr Mund war voller Blut.

    Der Russe packte sie am Haar, riss sie in die Höhe und schmetterte sie so heftig gegen die Wand, dass grelle Schmerzexplosionen durch ihr Blickfeld rasten und das Gesicht des Russen in gelbe und rote Flammen auflösten.
    »Schlechte Idee«, sagte er. »Ganz, ganz schlechte Idee. Jetzt machst du es mir wirklich leicht, Mädchen.«
    Obwohl sie wusste, wie sinnlos es war, versuchte Lena noch einmal, ihm das Knie zwischen die Beine zu rammen. Der Russe blockte den Angriff mühelos ab und versetzte ihr einen weiteren Schlag ins Gesicht, der ihr nun endgültig das Bewusstsein raubte - wenn auch nur kurz, denn sein dritter Schlag prügelte sie aus der Ohnmacht zurück. Der Kerl wusste genau, was er tat, und er tat es nicht zum ersten Mal.
    »Mach dich nicht lächerlich, Mädchen«, sagte er, immer noch im samtweichen Tonfall des perfekten Gentlemans. »Was glaubst du wohl, wie viele dämliche Nutten das vor dir schon versucht haben?«
    Offenbar nicht genug. »Und wie ist es damit?«, sagte Lena. Sie tat so, als wollte sie zum dritten Mal das Knie hochreißen, und nutzte den Moment, in dem er ihr Bein wegschlug, um ihm mit den Fingernägeln quer durch das Gesicht zu fahren. Dieses Mal schlug er so fest zu, dass sie erneut das Bewusstsein verlor. Als sie wieder wach wurde, fühlten sich ein paar Zähne im Unterkiefer locker an. Das Blut lief ihr in Strömen übers Kinn und die Kehle hinab. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor so große Schmerzen gehabt zu haben oder so entsetzliche Angst.
    Aber mit dem einen wie dem anderen war es sonderbar: Die Schmerzen waren seltsam bedeutungslos, wie etwas, was eben da war und sich nicht vermeiden ließ, im Grunde aber irrelevant war, und aus der Angst … bezog sie auf eine absurde Art Kraft. Wenn auch eine Art von Kraft, mit der sie - noch? - nichts anfangen konnte.

    »Du willst es also auf die harte Tour«, sagte der Russe.
    Er schloss seine gewaltige Pranke um ihren Hals, hob sie hoch und presste sie gegen die Wand. Sein

Weitere Kostenlose Bücher