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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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machen irgendeinen anderen Blödsinn.«
    Sie jagte den Porsche die Auffahrt hinauf und zog direkt auf die Überholspur hinüber. Hinter ihnen kreischten Reifen, und ein mehrstimmiges wütendes Hupen erscholl. Ohne einen Blick in den Rückspiegel zu werfen, beschleunigte Nora so brutal, dass sie beide in die Schalensitze gepresst wurden.

    »Also doch Auserwählte«, sagte Lena.
    »Fragt sich nur, wofür«, erwiderte Nora finster. Sie schnitt Lena mit einer raschen Geste das Wort ab, als sie etwas sagen wollte, und das gewohnte fröhliche Jungmädchenlächeln erschien wieder auf ihrem Gesicht. »Jetzt haben wir aber genug über die Schrecken der Vergangenheit geredet, finde ich. Reden wir lieber über die Zukunft. Vorzugsweise über deine.«
    »Habe ich denn eine?«, fragte Lena. Sie sah nervös aus dem Fenster und bedauerte augenblicklich, es getan zu haben. Sie hatte gewusst, dass ein Porsche schnell war, aber nicht, dass man damit die Schallmauer durchbrechen konnte.
    »Weil ich so schnell fahre, meinst du?« Nora kicherte albern. »Also, erstens macht es einen Höllenspaß, zweitens fahre ich nicht mal besonders schnell, und drittens kann uns gar nichts passieren, keine Sorge.«
    »Weil wir unsterblich sind?«, sagte Lena spöttisch.
    »Was macht deine Hand?«, gab Nora lächelnd zurück, ohne die Frage direkt zu beantworten.
    Natürlich war Lena klar, worauf sie hinauswollte. Als sie sich das letzte Mal gesehen hatten, da hatte sie einen Verband an der rechten Hand getragen, der jetzt genauso verschwunden war wie die tiefe Schnittwunde, zu der er gehört hatte, die Stiche in ihrem Hals und sogar das Tattoo, das sie sich vor drei Jahren wortwörtlich vom Mund abgespart hatte.
    Aber es gab vielleicht einen Unterschied zwischen einem Schnitt in der Handfläche und dem, was einem passierte, wenn man mit zweihundertfünfzig Stundenkilometern durch die Windschutzscheibe flog und von der Leitplanke in Stücke gehäckselt wurde …
    »Wie alt genau bist du?«, fragte sie, nachdem ihr klar geworden war, dass Nora die Frage nach der Unsterblichkeit nicht beantworten würde.
    »So was fragt man doch eine Dame nicht«, antwortete Nora.
    »Bist du denn eine?«
    »Nö«, feixte Nora. »Sagen wir, ich könnte durchaus deine Mutter sein … wenn ich früh angefangen hätte.«
    Das überraschte Lena nicht im Mindesten. Nora sah eindeutig jünger aus als sie selbst, aber da war etwas in ihrem Blick, was ihre scheinbare Jugend Lügen strafte.
    »Und Charlotte?«, fragte sie. »Sie sieht älter aus als einundzwanzig.«
    Nora lachte. »Das mit der Unsterblichkeit wird stark übertrieben«, sagte sie. »Wir altern, aber sehr viel langsamer als die anderen. Irgendwann werde ich auch alt, tatterig und senil werden, fürchte ich … aber es hat schon was, zu wissen, dass bis dahin noch etliche Hundert Jahre vergehen und nicht nur ein paar Jahrzehnte.«
    Oder auch nur ein paar Minuten, dachte Lena, wenn Nora so weiterfuhr. »Warum erzählst du mir das alles?«, fragte sie.
    »Weil du gefragt hast?«
    »Du weißt, was ich meine! Hast du gar keine Angst, dass ich es jemandem erzählen könnte?«
    »O ja! Ich zittere schon vor Angst«, sagte Nora. »Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir: Vampire sind unter uns! Geheimnisvolle Club-Besitzerin saugt ahnungslosen Männern das Blut aus!«
    Sie bremste hart ab, riss den Wagen nach rechts und schlitterte auf kreischenden Reifen die Ausfahrt hinab. Lena ertappte sich bei der leisen Hoffnung, dass Nora wie eine Irrsinnige weiterraste. Wenn sie den Porsche in diesem Tempo über die schlechten Straßen in ihrem Viertel prügelte, dann würden die Stoßdämpfer wahrscheinlich bis in die Stratosphäre katapultiert werden.
    Natürlich war etwas an dem, was Nora sagte: Niemand würde ihr glauben. Sogar ihr selbst gelang das ja noch nicht so recht, obwohl sie es erlebte.

    Nora erfüllte ihren verstohlenen Wunsch nicht. Zwar hinterließ sie zwei qualmende schwarze Gummispuren auf dem Asphalt der Ausfahrt, bremste den Wagen dann aber auf achtzig Stundenkilometer herunter und wurde schließlich noch langsamer, als sie sich der Straße näherten, in der sie wohnte. Lena verlor ganz bewusst kein Wort darüber, aber ihr entging auch nicht, dass Nora sich mit keiner Silbe nach dem Weg erkundigt hatte.
    So viel zu ihrer Behauptung, nichts über sie zu wissen.
    »Du kannst da vorn halten«, sagte sie nach einer Weile und unterstrich ihre Worte mit einer auffordernden Geste. Sie waren noch zwei Straßen von dem

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