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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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nicht, dass du mir wehtust, das ist alles.«
    »Willst du nicht?«, sagte er feixend. »Du gefällst mir, Süße. Vielleicht findet sich ja doch noch eine Verwendung für dich, wenn das alles hier vorbei ist.«
    »Dann … bringst du mich nicht um?«, fragte sie. Sein Griff lockerte sich ganz leicht, aber vielleicht reichte das ja.
    »Kommt drauf an, wie du dich anstellst, Süße«, antwortete er. »Vielleicht findet sich ja ein Job für dich. So eine hübsche Wildkatze kann ich immer brauchen. Manche Kunden stehen darauf.«
    Natürlich log er. Er würde sie umbringen, sobald er hatte, was er von ihr wollte. Trotzdem zwang sie ein nervöses Lächeln auf ihr Gesicht.
    »Ich übrigens auch«, fuhr er mit dem charmanten Lächeln eines jungen Sean Connery fort. »Komm, zeig mal, wie du schmeckst, Mädchen.«
    Er machte Anstalten, sie zu küssen, und Lena ließ es nicht nur zu, sondern öffnete sogar den Mund, wie um seiner fordernden Zunge Einlass zu gewähren. Dann grub sie die Zähne
mit solcher Kraft in seine Unterlippe, dass er vor Schmerz und Zorn aufbrüllte und den Kopf zurückriss.
    Alles geschah in einer Zeitspanne, die so kurz war, dass es keinen Ausdruck dafür gab, aber trotzdem nahm sie alles mit einer Klarheit wahr, die sie sich bisher nicht hatte vorstellen können. Der Geschmack war ein Schock, unbeschreiblich widerwärtig und berauschend zugleich, wie die Essenz von allem Bösen und Niederträchtigen, das sich zeit seines Lebens in ihm angesammelt hatte, aber gleichzeitig auch pure Energie, die wie ein Blitzschlag durch sie hindurchfuhr und mit nie gekannter Kraft beseelte. Die Zeit blieb nicht stehen, dehnte sich aber schier ins Unendliche, so dass sie sehen konnte, wie Schmerz und Schrecken in seinen Augen von Zorn und dann rasender Wut abgelöst wurden, während er den Kopf zurückwarf und gleichzeitig die Faust ballte, um sie ihr ins Gesicht zu schlagen. Ihm lief Blut über das Kinn, und ein Stück der Unterlippe fehlte.
    Lena spuckte es aus, schlug seine Faust, die sich absurd langsam auf sie zubewegte, zur Seite und stieß ihm die flache andere Hand vor die Brust; nur mit einem Bruchteil ihrer Kraft, aber dennoch hart genug, um ihn quer durch den Raum zu schleudern. Er prallte mit solcher Wucht gegen die Tür, dass das dicke Holz ächzte, fand mit heftig rudernden Armen sein Gleichgewicht wieder und fiel gleich darauf der Länge nach hin, weil er sich in seiner heruntergelassenen Hose verhedderte.
    Lena stand auf, schloss kurz die Augen und genoss das Gefühl berauschender Kraft, das wie das Herz einer explodierenden Sonne in ihr brannte. Zorn, unbeschreiblicher Zorn erfüllte sie. Diese … Kreatur hatte es gewagt, sie zu bedrohen - ihr wehzutun! -, und dafür würde sie sie vernichten!
    Sie wartete, bis der Russe sich mühsam hochzustemmen begann und die Hose von seinen Knöcheln schüttelte; dann riss sie ihn mit nur einer Hand endgültig auf die Beine, wirbelte
auf dem Absatz herum und schleuderte ihn mit solcher Wucht durch den Raum, dass sein Kopf mit einem trockenen Knacken gegen den rohen Backstein auf der anderen Seite schlug. Sein Blick trübte sich, und zwei dünne Blutrinnsale liefen ihm aus den Ohren. Die nackte Glühbirne an der Decke begann wie wild zu schaukeln und verwandelte den Raum in einen lautlosen Hexenkessel aus zuckendem gelbem Licht und tanzenden Schatten. Der Blick des Russen trübte sich weiter, und nun begann auch aus seiner Nase das Blut zu laufen. Lena schmeckte seinen Schmerz wie ein betörendes kostbares Parfüm, an dem sie sich berauschen konnte.
    Das war aber nicht genug. Sie brauchte sein Blut. Sein Leben.
    Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und nahm die letzten kostbaren Tropfen seines Blutes auf, worauf das Feuer in ihr noch einmal heißer und heller brannte. Sie hatte die Kraft einer Göttin, der nichts widerstehen konnte, aber nichts von deren Gnade.
    »Du wolltest mit mir spielen?«, sagte sie. »Komm! Dann spielen wir!«
    Der Russe überraschte sie. Seine Augen waren zwar immer noch trüb, und sie konnte seine Angst genauso deutlich spüren wie seinen Schmerz, aber nun hatte sich noch Zorn dazugesellt, eine rasende Wut, die Furcht und körperliche Pein einfach beiseitefegte und ihn mit einer Kraft erfüllte, die der ihren nicht viel nachstand. Völlig unbeeindruckt von seinem gebrochenen Schädel stieß er sich von der Wand ab, ballte die Fäuste und drosch wie ein Berserker auf sie ein.
    Lena duckte sich unter den ersten beiden Hieben weg,

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