Wir sind die Nacht
wehrte seinen dritten Schlag mit einer mühelosen Bewegung ab und tänzelte herum, bis sie die Wand im Rücken hatte. Das Feuer in ihr brannte, und da … war etwas, etwas wie ein lautloses, warnendes Flüstern, das ihr etwas ungemein Wichtiges mitzuteilen
versuchte. Aber sie achtete nicht darauf und versetzte dem Russen einen fast freundschaftlichen Klaps auf den Oberarm, der nicht nur seinen Bizeps kurzfristig lähmte, sondern ihn auch noch wütender machte, genau das, was sie erhofft hatte. Halb tot oder nicht, der Kerl war ein geübter Straßenkämpfer, und seine Faust schoss blitzschnell vor und zielte auf ihr Gesicht.
Lena duckte sich im letzten Moment, hörte mit tiefer Befriedigung, wie seine Hand an der harten Mauer hinter ihr brach, und steppte gleichzeitig zur Seite. Der Russe packte sie mit der anderen Hand, wirbelte sie herum und riss sie zugleich so unerbittlich an sich, dass sie wieder den Boden unter den Füßen verlor.
Sie schnappte nach Luft, dann schlang der Russe auch noch den anderen Arm um sie, riss sie herum und drückte gleichzeitig mit aller Gewalt zu. Ihre Rippen knackten wie trockene Zweige, und ein ganzes Dutzend glühender Speerspitzen schien sich aus allen Richtungen in ihre Lunge zu bohren. Luft bekam sie nicht.
Lena war eher überrascht als zornig. Sie hatte begriffen, wie gleichgültig dem Kerl sein eigenes Leben in diesem Moment war. Er wollte sie töten, das war alles, was ihn interessierte. Er würde ihr das Kreuz brechen, und wenn ihm das nicht gelang, dann halt das Genick.
Der Kerl war unvorstellbar stark. Stark genug, um sie wie einen trockenen Ast in der Mitte durchzubrechen …
Pech für ihn, dass sie nicht das war, wofür er sie hielt. Sie war zehnmal stärker als er und unverwundbar dazu.
Oder auch nicht. Lena schenkte dem russischen Bären noch eine geschlagene Sekunde Lebenszeit, in der er sich im Gefühl seines vermeintlichen Sieges sonnen konnte, dann griff sie hinter sich, packte ihn an den Handgelenken und sprengte seinen Griff.
Es gelang ihr nicht. Der entsetzliche Druck auf ihr Rückgrat nahm dagegen nur noch zu, und die Sehnen an seinen Oberarmen und am Hals traten plötzlich wie straff gespannte Drähte durch seine Haut, als er alle seine Kräfte mobilisierte, um sie mit in den Tod zu reißen.
Lena kämpfte die Panik nieder, die von ihr Besitz ergreifen wollte. Ihre Kräfte ließen nach. So schnell der Orkan aus unbezwingbarer Kraft in ihr ausgebrochen war, fast genauso schnell verzehrte sich das lodernde Sonnenfeuer selbst, nachdem die Kraft des Blutstropfens aufgebraucht war. Der Druck auf ihr Rückgrat war längst unerträglich geworden, sie konnte immer noch nicht atmen, und von den Rändern ihres Blickfeldes her begann eine saugende Dunkelheit auf sie zuzukriechen.
Verzweifelt riss sie die Arme in die Höhe und hämmerte ihm die Fäuste ins Gesicht, einmal, zweimal, dreimal, aber es nutzte nichts. Ihre Schläge waren nunmehr die eines Mädchens, die der Russe nicht einmal mehr spürte. Sein Gesicht war im flackernden Licht der immer noch wild pendelnden Glühbirne endgültig zu einer Dämonenfratze geworden, nichts als Blut und Zorn und schwarze Schatten wie tiefe Narben, und das einzig Menschliche darin waren noch diese hellen, so entsetzlich freundlich aussehenden Augen.
Fast ohne ihr Zutun griff ihre Hand nach oben, packte die pendelnde Birne und löschte eines dieser schönen Augen für alle Zeiten aus, indem sie die Glühlampe hineinstieß. Glas zerbrach. Fleisch zerriss, und eine Mischung aus Blut und einer hellen, wasserklaren Flüssigkeit lief aus der verheerten Augenhöhle, während die zerborstene Lampe gleichzeitig Strom in die Wunde pumpte. Sein Schrei hatte nichts Menschliches mehr.
Lena schrie fast genauso laut, als der Stromschlag ohne die geringste spürbare Verzögerung auch durch ihren Körper schoss und sein Möglichstes tat, um sie mit dem kreischenden Russen zu verschweißen. Mit der schieren Kraft der Verzweiflung
schaffte sie es endlich, seinen Griff zu sprengen und ihn von sich wegzustoßen. Knisterndes elektrisches Feuer sprang in dünnen blauen Linien zwischen ihnen hin und her und zerschnitt die Dunkelheit, in der der fensterlose Raum versunken war; bevor auch dieser letzte Lichtschimmer erlosch und sie in völliger Schwärze zu Boden sank. Ein dumpfes Poltern irgendwo rechts von ihr kündete davon, dass auch der Russe gestürzt war, dann wurde das Rauschen ihres eigenen Blutes in den Ohren so laut, dass es jedes andere
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