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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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Is Who der oberen Konsumgesellschaft: Versace, Dior, Boss, Rolex … Wahrscheinlich hätte Lena die Aufzählung noch bis zum nächsten Morgen fortsetzen können, hätte Louise sie nicht mit sanfter Gewalt zur Seite geschoben, damit der Wachmann die Tür schließen und hinter sich verriegeln konnte. Noch immer ganz so, als wären sie und die anderen gar nicht
da, drückte er die Klinke herunter, um sich davon zu überzeugen, dass die Tür auch tatsächlich abgeschlossen war, löste dann eine antiquiert anmutende Uhr von seinem Gürtel und schlurfte davon, um seine Runde zu beginnen.
    »Wo … sind wir hier?«, fragte Lena verblüfft. Nach der Bahnhofsmission sah es jedenfalls nicht aus.
    »Ich habe dir doch versprochen, dass wir dir neue Schuhe besorgen«, antwortete Louise fröhlich. »Ist zwar das falsche Stockwerk - glaube ich -, aber Schuhe finden wir bestimmt irgendwo. Frag Nora, die kennt sich hier am besten aus.«
    »Ganz bestimmt sogar«, sagte Nora, ergriff Lenas Hand und zog sie so schwungvoll mit sich, dass sie stolpernd hinter ihr herzockelte. Louise lief lachend hinter ihnen her, während Charlotte irgendwo verschwunden war. Dann knisterte es, und leise Tangomusik drang aus versteckten Lautsprechern.
    Nora ließ endlich ihre Hand los, und Louise fing sie mit ausgebreiteten Armen auf und wirbelte sie herum. Und plötzlich schwebten sie zum Klang des Tangos über den Marmorboden. Musik erfüllte nicht nur die Luft, sondern alles, und Louise und sie tanzten einen Tanz, den Lena nie gelernt hatte und doch perfekt beherrschte. Wenn es ein Traum war, dann einer, aus dem sie nie wieder aufwachen wollte. Sie mochte Tangomusik nicht, aber sie nahm sie einfach gefangen und trug sie in ein Universum davon, das nur noch aus Klängen und sanfter Bewegung bestand und dem berauschenden Gefühl von Louises Nähe, ihrem Geruch und ihren Augen, die immer größer und dunkler zu werden schienen und in denen sie sich hoffnungslos verlor. Wie hatte sie nur bis zu diesem Tag leben können, ohne sie? Sie wollte ihr nahe sein, so nahe, wie es nur ging, und noch näher, sie nie wieder loslassen und Dinge mit ihr tun, von denen sie jetzt nicht hätte sagen können, welche, die aber einfach wunderbar werden würden. Und dann ließ Louise ihre linke Hand los und übergab sie an Nora, die sie ihrerseits herumschleuderte
und erst dann sehr behutsam losließ, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass sie sicher stand, weil Lena ziemlich schwindelig geworden war.
    »Sie gehört dir, Nora-Schatz. Mach sie hübsch.«
    »Moment mal!«, protestierte Lena. »Ich gehöre …«
    »Niemandem, ich weiß!« Nora zog sie lachend hinter sich her und steuerte einen chromblitzenden Chanel-Store an. »Und wenn doch, dann allerhöchstens Louise. Und jetzt halt die Klappe und komm mit. Ich habe einen Auftrag, und Mami kann verdammt ungemütlich werden, wenn man nicht folgt.«
    Auch dabei lachte sie, aber Lena war ganz und gar nicht davon überzeugt, dass es wirklich nur ein Scherz gewesen war.
    Mit einem gekonnten Schwung drehte Nora sich vollends in den Verkaufsstand, ließ ihre Hand los und sprang mit einem einzigen Satz auf die Theke hinauf. Vom obersten Regal klaubte sie ein halbes Dutzend Handtaschen und warf sie ihr zu. Lena war immer noch viel zu perplex, um nach einer davon zu greifen, und die teuren Accessoires regneten rings um sie herum zu Boden.
    »Nur keine falsche Bescheidenheit, Liebes«, rief Nora aufgekratzt. »Such dir eine aus. Am besten eine, die zu deinem Kleid passt. Aber wenn du auf Knallrot oder Pink stehst, macht das auch nichts. Ist ganz allein deine Entscheidung.«
    Lena starrte sie mit offenem Mund an, bückte sich schließlich nach einer der edlen Taschen und hob sie auf. Völlig wahllos, wie sie zugeben musste, aber auch mit untrüglicher Zielsicherheit. Aus dem gesamten Angebot war es diejenige, die am allerwenigsten zu ihrem Kleid passte.
    »Also gut, ich nehm’s zurück«, sagte Nora und sprang wieder von der Theke.
    »Was?«
    »Dass es nichts ausmacht . Das Ding ist scheußlich. Nimm die hier.«

    Lena musste zugeben, dass Noras Auswahl weitaus besser war. Sie hängte sich die Tasche über die Schulter, ohne sie allerdings eines weiteren Blickes zu würdigen. Noch vor zwei Tagen hätte sie für so eine Tasche getötet. Jetzt war sie ihr egal.
    »Und jetzt auf in die Schmuckabteilung!« Nora zog sie kurzerhand quer durch den großen Verkaufsraum hinter sich her zu einem glitzernden Stand aus Messing und Chrom und

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