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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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geheimnisvolle Leichenfunde, nicht wahr? Toten, denen alles Blut fehlt, als wären sie ausgesaugt worden«, fügte Louise hinzu.
    »Leichen kann man verschwinden lassen«, sagte Lena.
    Die Bemerkung tat ihr schon leid, ehe sie die Worte ganz
ausgesprochen hatte. Louises Lächeln erlosch, und ihre Stimme wurde spröde. »Wir sind keine Mörder, Lena«, sagte sie steif.
    »So habe ich das auch gar nicht gemeint«, sagte sie hastig.
    »Doch, Liebes«, sagte Nora. »Ganz genau so war es gemeint. Mach dir nichts draus. Ich habe damals dieselbe Frage gestellt.« Nachdenklich legte sie den Kopf auf die Seite. »Wenn ich mir’s genau überlege, dann habe ich bis heute keine richtige Antwort darauf bekommen.«
    Louise warf mit einer Hummerschere nach ihr, und alle drei brachen in albernes Gekicher aus. Nach einem Augenblick fiel auch Lena in dieses Lachen ein.
    Sie kicherten und alberten noch eine ganze Weile herum, bis der Kellner schließlich mit einem vornehmen Hüsteln an ihren Tisch trat und sich erkundigte, ob alles zu ihrer Zufriedenheit und in Ordnung sei und noch irgendetwas fehle. Nichts fehlte, und rein gar nichts war in Ordnung, aber seine Botschaft war klar. Allzu viel Fröhlichkeit war in einem Etablissement wie diesem ganz offensichtlich nicht erwünscht.
    Lena beschloss endgültig, Lokale wie diese nicht zu mögen.
    Nora ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, dem jungen Kellner einen lüsternen Blick zuzuwerfen und sich demonstrativ mit der Zunge über die Lippen zu fahren, woraufhin er noch rötere Ohren bekam und hastig verschwand.
    »Reiß dich zusammen, Nora-Schatz«, sagte Louise. »Sonst verpetze ich dich bei dem niedlichen Pagen aus dem Hotel.«
    Nora zog eine Schnute, und Lena fragte: »Was ist mit dem?«
    »Unser Nesthäkchen hat ein Auge auf ihn geworfen«, antwortete Charlotte. »Sie würde ihn nur zu gern vernaschen. Aber das lässt Louise nicht zu.«
    Nora kicherte, aber irgendetwas daran kam Lena falsch vor, und sie verzichtete darauf, weitere Fragen zu stellen. Vielleicht war Charlottes vermeintlich etwas ungeschickte Wortwahl ja kein Zufall gewesen.

    Erneut machte sich ein unbehagliches Schweigen zwischen ihnen breit, bis Louise es mit einem Räuspern unterbrach.
    »Wenn wir schon dabei sind - gibt es sonst noch etwas, was du wissen möchtest?«
    Ungefähr eine Million Fragen. Nur fiel Lena im Moment keine ein. »Wie viele … gibt es von euch?«, fragte sie schließlich. »Uns?«
    Louise schien angestrengt nachzudenken. »Ungefähr vierzig in Europa«, sagte sie dann. »Auf der ganzen Welt … hundert Frauen. Vielleicht hundertfünfzig. Nicht sehr viele.«
    Lena fand, dass das ziemlich viele waren. Eigentlich zu viele, als dass in all den Jahren, wenn nicht Jahrhunderten, noch nie jemand etwas von ihrer Existenz erfahren haben sollte. Dann fiel ihr etwas anderes auf.
    »Hundertfünfzig Frauen? Und wie viele Männer?«
    »Keinen einzigen«, sagte Nora. »Leider.«
    »Nicht einen Mann?«, vergewisserte sich Lena. »Soll das heißen, dass nur Frauen unsere … Fähigkeiten haben?«
    »Vielleicht haben nur Frauen die seelische Reife, um verantwortlich damit umzugehen«, feixte Nora.
    Louise wirkte belustigt, dass ausgerechnet Nora so einen Spruch losließ, wandte sich dann aber ernst an Lena. »Es hat immer mehr Frauen als Männer gegeben. Vielleicht weil wir Frauen uns nicht so oft gegenseitig umbringen wie die sogenannte Krone der Schöpfung. Sie haben in der Vergangenheit eine Menge Schaden angerichtet. Der schlechte Ruf, in dem unsere Art steht, geht zum allergrößten Teil auf ihr Konto. Und irgendwann haben wir dann beschlossen, dass es genug ist.«
    »Und habt sie alle ausgelöscht?«
    »Wenn wir das getan hätten, dann wären wir ja Männer«, sagte Charlotte spöttisch.
    Louise blieb ernst. »Das haben sie schon ganz allein erledigt«, sagte sie. »Du hast gar nicht einmal so falsch gelegen.
Unser … besonderes Blut … kommt zwar nicht nur in uns Frauen vor, sondern genauso oft bei Männern.« Sie blinzelte ihr verschwörerisch zu. »Aber nur Frauen sind dazu fähig, seine Kraft zu wecken.«
    »Warum?«
    »Weil wir die Mütter sind?«, schlug Charlotte vor.
    »Niemand weiß das«, sagte Louise. »Es ist eben so. Wir Frauen können Leben erschaffen, Männer nicht. Sie können es nur auslöschen. Irgendwann haben wir das erkannt und beschlossen, dass es genug ist.«
    »Und da habt ihr …«
    »Gar nichts getan«, fiel ihr Louise scharf ins Wort. »Es war nicht nötig, irgendetwas zu

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