Wir sind doch Schwestern
grübelte erneut dumpf vor sich hin.
»Das klappt schon«, machte Katty ihm Mut, »wir müssen nur andere für sie reden lassen. Das hat außerdem den Vorteil, dass wir bestimmen können, was gesagt wird. Wie wäre es, wenn ich als Hauswirtschafterin eine Rede halte?«
»Katty, du stehst unter Verdacht, ein sittenwidriges Verhältnis zu mir zu haben. Die Leute werden uns auslachen, wenn du denen etwas von Treue erzählst.«
Heinrich suchte ihren Blick. Es war nach langer Zeit der erste Augenblick, in dem sie sich wieder gefährlich nah waren. Katty sah in Heinrichs Augen etwas Provozierendes, als wollte er sagen: Wenn wir sowieso verdächtigt werden, warum haben wir dieses Verhältnis dann eigentlich nicht? Katty hielt seinem Blick stand. Sie wusste, dass sie sich nicht gehen lassen würde. Es war gut so, wie es war, und sie würde niemals durch eine unbedachte Handlung riskieren, zu Recht in Verruf zu kommen. Sie hatte sich vor langer Zeit entschieden: Ihre Liebe gehörte Heinrich, die Leidenschaft dem Hof und der Politik.
Herausfordernd erwiderte sie schließlich:
»Dann lad doch den Ministerpräsidenten ein, damit er eine Rede hält. Oder noch besser den Bundeskanzler, den kennst du doch schon so lange. Und ich würde mich freuen, Herrn Adenauer einmal wiederzusehen.«
Heinrich erklärte sie für verrückt. Und tatsächlich war es eigentlich ein Scherz gewesen, aber einmal ausgesprochen, fand Katty diesen Gedanken gar nicht mehr so absurd, und mit jedem Argument, das sie spontan ins Feld führte, schien ihr die Idee einleuchtender. Katty redete sich dermaßen in Rage und betonte so häufig, dass es doch nur im Sinne der Partei sei, wenn Heinrich wiedergewählt werde, und die politischen Freunde daher schon aus eigenem Interesse in die Bresche springen müssten, dass Heinrich sie schließlich mit einem anerkennenden Nicken bedachte.
»Vielleicht hast du recht. Wir werden es versuchen. Aber den Bundeskanzler frage ich nicht. Ich bin sicher, Herr Adenauer hat Wichtigeres zu tun, als sich um einen Knecht zu kümmern, der seit sechzig Jahren auf Tellemannshof arbeitet. Wir werden sehen, was sich machen lässt.«
Danach widmete sich Heinrich mit großem Appetit den Bratkartoffeln, die, so musste Katty zugeben, mit Zwiebeln und ein bisschen Speck gebraten fast noch besser schmeckten als die, die sie selbst zubereitete.
Vier Wochen später stand fest, dass der Landwirtschaftsminister kommen würde. Heinrich Lübke, ein langjähriger Wegbegleiter von Heinrich, hatte die Aufgabe mit Freude und Verständnis angenommen. Heinrich hatte ihm erneut von seinem schrecklichen Scheidungsprozess erzählt und die Bredouille erklärt, in der er steckte. Lübke hatte sofort begriffen und Wort gehalten. Sein Sekretariat würde dafür Sorge tragen, dass der Minister vom Rundfunk begleitet werde, hatte man Katty mitgeteilt und sie gebeten, sich bitte eigenständig um die örtlichen Zeitungen zu bemühen.
So hatten sie es gemacht, und nun war der große Tag gekommen. Seit sechs Uhr morgens war Katty auf den Beinen, sie war seit Tagen so nervös, dass sie keinen Bissen herunterbekam. Gestern erst hatte sie die Näherin bitten müssen, ihren grauen Rock enger zu machen. Sie war heilfroh, dass sie ihn kurz vor diesem Tag noch einmal anprobiert hatte, sonst hätte sie vor dem Minister ziemlich dumm dagestanden mit einem Rock, der ihr auf die Hüften rutschte. Sie war so aufgedreht an diesem Morgen, dass sie nicht einmal den Wecker hatte stellen müssen, obwohl sie sonst um diese Zeit eher zu Bett ging, als es zu verlassen. Ein Großteil ihrer Familie war eingespannt, denn es sollte sogar ein Mittagessen mit dem Minister geben. Katty hatte draußen ein Zelt aufstellen lassen für alle Vertreter der Verbände, in denen Heinrich tätig war, natürlich für die Belegschaft des Tellemannshofes, für die Nachbarn und wie üblich für ein paar ausgewählte Bauern aus den umliegenden Dörfern. Im Wohnzimmer hatte sie für den engsten Kreis decken lassen. Hier würden das Jubelpaar sitzen, der Minister, weitere Würdenträger, außerdem Katty und Heinrich. Sie alle, draußen wie drinnen, würden von Kattys Familie bewirtet. Suppe auftragen sollten die etwas älteren, geschickteren Mädchen, Schüsseln auf den Tisch stellen, dazu wären auch die kleineren Nichten und Neffen fähig. Ein paar Nachbarinnen hatte sie zudem gebeten, mitzuhelfen und das schmutzige Geschirr abzutragen. Sie hatte eine Ochsenschwanzsuppe kochen lassen, als Hauptgang
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