Wir sind doch Schwestern
würde Heinrich die Wahl im Sommer sichern, egal, was vorher noch im Gerichtssaal passierte, hoffte sie inständig. Und vielleicht waren die Richter ja auch eher geneigt, einem Mann zu glauben, der mit den Ministern des Landes befreundet war, als einer Frau, die sich hysterisch und selbstsüchtig gebärdete. Sicher würden die Ereignisse des heutigen Tages das Gericht von Heinrichs und auch von Kattys Unschuld überzeugen.
Im Februar war Heinrich der Verzweiflung nahe gewesen. Nach der ersten mündlichen Verhandlung hatte er sich immer wieder mit seinen Anwälten getroffen. Die Gegenseite schikanierte ihn. Es wurden Zweifel an jedem einzelnen Zeugen angemeldet, der vor Gericht aufgetreten war. In endlosen Schreiben wurde darauf hingewiesen, dass diese Zeugen in Abhängigkeit vom Beklagten lebten und man deshalb nicht einmal dann das Gesagte für bare Münze zu nehmen habe, wenn es unter Eid ausgesagt worden sei. Darüber hinaus wurden neue Zeugen benannt, von denen sich Heinrich zum Teil nicht einmal entsinnen konnte, sie jemals auf dem Hof gesehen zu haben. Zum Beispiel ein Apothekerpaar aus Köln, dessen Namen er noch nie gehört hatte. Dieses nun sollte bezeugen, wie auffallend lieblos er sich seiner Frau gegenüber verhalten habe. Es zog immer mehr Zeit ins Land, und irgendwann dämmerte ihm, was Anna Maria vorhatte: Sie versuchte, den nächsten Gerichtstermin, an dem all die peinlichen Vorwürfe erneut aufs Tapet kämen und die Zeitungen genüsslich darüber schreiben würden, so nah wie möglich an den nächsten Wahltermin heranzurücken. Sie wollte Heinrich Hegmanns politische Karriere beenden. Vielleicht war das nicht ihre Idee gewesen, aber die ihres Bruders, der in der SPD aktiv war, ganz sicher, vermutete Katty. Die Erkenntnis traf Heinrich wie ein Schlag, und sie erörterten eines Abendslange, was sie tun könnten. Dann bestellte Katty ein paar Bratkartoffeln.
»Man kann besser denken, wenn der Magen nicht knurrt«, sagte sie, auch, weil sie wusste, dass ihre Unaufgeregtheit Heinrich ein wenig amüsieren würde. »Ich bin sicher, die Bratkartoffeln nähren das Hirn. Wir essen jetzt in Ruhe, und dann finden wir eine Lösung.«
Katty ging an jenem Abend in die Küche, um das Braten selbst zu beaufsichtigen. Und als sie die alte Frau am Herd sah, kam ihr eine grandiose Idee. Eine, die so naheliegend war, dass sie sich fragte, warum sie nicht eher drauf gekommen war. Sie würden ein Fest geben. Das hatte immer funktioniert. Und hier vor ihr, mit der Bratpfanne in der Hand, stand auch schon der fleischgewordene Anlass: Anna Zumkley. Erst eine Woche zuvor hatte ein Hausmädchen ihr verraten, dass das Ehepaar Zumkley demnächst Goldhochzeit feierte. Theodor und Anna Zumkley waren seit fünfzig Jahren verheiratet, kennengelernt hatten sich die beiden auf dem Tellemannshof. Anna war 1899 als junge Frau auf den Hof gekommen, und es hatte nicht lange gedauert, bis sie sich in den schmucken Theodor verliebte, der auf Tellemann Mädchen für alles war, aber sich vor allem um die Tiere kümmerte. Im April 1900 hatten die beiden geheiratet. Ein schöner Grund zum Feiern, aber nicht der einzige. Denn Theodor Zumkley hatte noch ein weiteres Jubiläum: Er stand im März seit sechzig Jahren in den Diensten des Tellemannshofes. Es würde ein sehr gutes Licht auf Heinrich werfen, wenn er solche Treue im großen Stil ehrte.
Aufgeregt lief Katty daraufhin zurück zu Heinrich ins Wohnzimmer und erzählte ihm von ihrem Plan. Als kurz danach Anna ins Wohnzimmer kam und eine große Schüssel mit Bratkartoffeln brachte, strahlte Heinrich sie an. Anna schaute etwas verlegen zurück. Sie war engen Kontakt zum Hausherrn nicht gewohnt und im Umgang mit ihm etwas gehemmt. Annasprach nicht viel, und wenn, dann tiefstes niederrheinisches Platt, sodass selbst Katty Mühe hatte, sie zu verstehen, zumal die fast Siebzigjährige kaum noch Zähne im Mund hatte.
»Wie geht es Ihnen und Ihrem Mann, Anna?«, versuchte Heinrich, ein Gespräch zu eröffnen.
»Watt willse dat dahn wähten?«, fragte sie derb zurück, und als Katty Heinrichs entgeistertes Gesicht bemerkte, schritt sie ein. Sie wusste, es war nicht so gemeint, wie es geklungen hatte.
»Anna, der Herr Hegmann will, dass es euch gut geht auf dem Hof. Sag deinem Mann einen schönen Gruß. Wir werden euer Jubiläum schön feiern, ja?«
Anna verschwand ohne einen weiteren Blick in der Küche.
»Das ist vielleicht doch keine gute Idee!«, stellte Heinrich enttäuscht fest und
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