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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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Schwestern auch immer miteinander geflüstert. Katty hatte es gehört, aber sie hatte nie verstanden, worum es ging. Katty fragte sich, ob Paula in den letzten Tagen unter vier Augen mit Gertrud gesprochen und sie überzeugt hatte, auf den Tellemannshof zu ziehen. Paula wareine Meisterin im Überzeugen, weil sie jedem das Gefühl gab, selbst auf den entscheidenden Gedanken gekommen zu sein. Sie gab keine Ratschläge, sie lenkte nur sanft die Gedanken in eine bestimmte Richtung. Katty hatte Paula deshalb damals angefleht, sie möge bitte Gertrud bekehren und davon abbringen, gegen Heinrich auszusagen. Aber Paula ließ sich nicht einfach so vor einen Karren spannen und hatte Katty weder etwas versprochen noch verweigert. Sie war in ihren Aktionen immer so diskret, dass am Ende niemand sicher sein konnte, ob sie ihre Finger im Spiel gehabt hatte oder nicht. Katty wusste bis heute nicht, ob ein Gespräch zwischen Gertrud und Paula stattgefunden hatte. Sie hatte nie danach gefragt, hatte alles nur so schnell wie möglich vergessen und zum Alltag zurückkehren wollen. Die Familie wäre an der ganzen Geschichte fast zerbrochen.
    Katty setzte sich neben Gertrud und drückte ihren Arm. Offenbar zu fest, denn Gertrud zuckte zusammen und schaute sie mit gespieltem Vorwurf an, dann lächelte sie. Die Messe begann, aber Katty konnte sich nicht auf die Worte des Pfarrers konzentrieren. Sie ging im Kopf die Liste der Menschen durch, die sie erwartet hatte, und hakte ab, ob wirklich alle erschienen waren. Sie hatte ihre Nichte gesehen, die Mathematikprofessorin in Oxford war. Gertrud glühte jedes Mal vor Stolz, wenn sie von ihr erzählte. Die diversen Würdenträger und sogar zwei ehemalige Schulkolleginnen hatten sich ebenfalls eingefunden. Die Verwandtschaft aus der Umgebung war vollzählig vertreten, und auch Wollentarski hatte sie gesehen, er hatte aus der Ferne gewunken. Katty war gespannt auf seinen Artikel. Der würde bestimmt morgen in der Rheinischen Post zu lesen sein. Vielleicht sollte sie ihn einrahmen und in Gertruds Zimmer hängen.
    Der Pfarrer blickte in ihre Richtung. Er war bereits mitten in der Predigt und nach Gertruds Gesichtsausdruck zu urteilen,wurde sie gerade von der Kanzel herab mächtig gebauchpinselt. Katty versuchte sich zu sammeln.
    Als sie zur Kommunion gingen, zog sie für einen Moment in Betracht, die Kirche wie früher mit Heinrich einige Minuten vor Ende der Messe zu verlassen, aber sie saß in der ersten Bank wie auf dem Präsentierteller, das würde unmöglich aussehen. Es lebe der Orgelplatz, dachte sie und beschloss, die letzten zehn Minuten auch noch über sich ergehen zu lassen. Neben ihr kniete Gertrud und hielt beide Hände vor das Gesicht. Offenbar betete sie an ihrem Geburtstag etwas länger als üblich. Nach dem abschließenden Gesang richtete der Pfarrer erneut das Wort an die Jubilarin. Die kniete immer noch, und vermutlich war der Pfarrer ganz hingerissen von so viel Frömmigkeit. »Es ist nicht leicht, den Verführungen des Teufels zu widerstehen«, beschwor er die Gemeinde. »Aber wem das gelingt, der darf sich belohnt fühlen. Gertrud Franken ist mit ihrem hohen Alter ein wundervoller Lohn zuteilgeworden.«
    Er sah das Geburtstagskind mit geliehener Heiligkeit an. Gertrud reagierte nicht. Kattys Nacken begann zu kribbeln. »Hundert Jahre ist sie nun schon bei uns auf Erden, sie ist uns allen ein Fels in der Brandung, eine moralische Instanz, in ihrem menschlichen Urteil unbestechlich. Und wir, liebe Gertrud Franken, wünschen uns, dass Sie noch lange bei uns bleiben.«
    Die Orgel ertönte laut und dröhnend und Gertrud verharrte unverändert auf Knien in der Kirchenbank. Als Katty sie in aufkommender Panik fest anstupste, rutschten Gertruds Ellenbogen ab, und wenn Katty nicht schnell zugepackt hätte, wäre ihre Schwester umgekippt und der Länge nach zwischen die Kirchenbänke gefallen. Gertrud schüttelte den Kopf, schaute einmal misstrauisch nach rechts und nach links, stand auf und schritt genauso kerzengerade und würdig aus der Kirche hinaus, wie sie hereingekommen war. Katty war flau geworden, sie hatte Schlimmstes befürchtet, dabei war Gertrud nur eingenickt. Katty blickte auf ihre Hände, und als sie sah, dass sie zitterten, schlug sie drei Kreuze und beschloss, sich auf Tellemann erst mal ein Elf-Ührken zu genehmigen.

13. Juni 1950
Zeugin Gertrud Franken
    »Sie wird uns das Genick brechen«, hatte Heinrich gesagt, »sie hasst mich und liebt die Moral. In dieser

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