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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Feindschaft. Ich ließ den Mann stehen und ging rasch davon. In einer Seitengasse hatte ich vor einigen Tagen ein vermietbares Atelier aufgestöbert. Jetzt ging ich hin, mietete es angeblich für meinen Freund und füllte den Anmeldezettel folgendermaßen aus: »Friedrich Wunder, Photograph, katholisch, geboren am 24. Dez. 1891 in München, Staatsangehörigkeit Bayern.«
    »Mein Freund kommt dann dieser Tage«, sagte ich zur Hausmeisterin und suchte Pegu auf.
    »Du heißt Fritz Wunder, bist Photograph, Bayer und am vierundzwanzigsten Dezember einundneunzig in München geboren ... Komm sofort, wir haben eine Bude«, sagte ich, und er folgte entschlußlos und noch halb ungläubig.
    Noch am selben Nachmittag kauften wir bei Trödlern allerhand Möbelstücke, und abends richteten wir Pegus Atelier ein.
    »Jetzt ist alles gut ... Nur eins, rühr' dich wenig, schmiere die Hausmeisterin dick mit Trinkgeld und rede wenig ... Nichts Auffallendes machen«, riet ich und verließ ihn. Glücklich kam ich am andern Tag zu Schorsch und berichtete.
    »Hoffentlich klappt alles«, meinte Maria Uhla. Schorsch lachte bellend über die Geschichte mit Wunder. Er kannte ihn auch noch von früher her. Von da ab kam ich täglich mit Pegu zusammen. Er war ein schüchterner, zu Zeiten sogar etwas kindlicher Mensch, der genau dachte. Ich las ihm Gedichte vor. Er kritisierte sie mitunter ungewöhnlich klar. Wir diskutierten viel, und seine Bedrückungen wichen mehr und mehr. Mit der Zeit wagten wir uns auch in die Lokale. Es schien wirklich keine Gefahr zu sein. Früh am Abend verkroch sich mein Genosse in seinem Versteck, denn nachts konnte man angehalten werden.
    Ein einziger dummer Zufall und alles war verspielt.
    Damals bekamen die Revolutionäre neuen Ansporn und die kriegsmüden Massen größere Hoffnung. Der russische Funkspruch An alle und die vierzehn Punkte Wilsons gingen durch die Welt. Für einen allgemeinen Frieden ohne Annexionen und für das Selbstbestimmungsrecht der Völker traten die Russen ein, und der Präsident von Amerika verkündete den Völkerbund als neues Allheilmittel.
    »Friede! Friede!« atmete jeder Tag. »Friede! Friede!« schwoll zum ungeduldigsten Verlangen. Die deutschen Unterhändler reisten nach Brest-Litowsk.
    Dort ging es hartnäckig hin und her. Deutschland machte Ansprüche auf die Randstaaten, der General Hoffmann prägte das Wort »ohne Annexionen« in »ohne gewaltsame Annexionen« um. Die Delegationen reisten heim und holten neue Weisungen. Durch die Zeitungen ging etwas von »einem breiten Grenzstreifen zur Sicherung vor dem Bolschewismus«, und selbst die Mehrheitssozialisten regten sich darüber auf.
    Die Revolutionäre agitierten unermüdlich. Wieder kamen die Unterhändler in Brest-Litowsk zusammen, und zum erstenmal drangen die revolutionären Reden Leo Trotzkis über die Ostgrenzen nach Deutschland herein.
    Auf der Versammlung der Eisnerleute hatte ich von Streikvorbereitungen gehört. Noch im Januar sollte sich im ganzen Reich ein Generalstreik erheben. Ich kam zu Pegu.
    »Unsinn!« rief der: »Du brauchst nicht zu den Eisnerleuten zu gehen. Wir haben anderes zu tun.« Er zeigte mir ein Manuskript. Es war die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky, welche damals als verschwiegene Maschinenschrift nur in eingeweihten Pazifistenkreisen kursierte. Er gab mir Geld, und ich mietete eine Schreibmaschine. Darauf diktierte er mir in den darauffolgenden Tagen Die Londoner Mission Lichnowskys .
    »Das muß unbedingt noch vor dem Streik gedruckt und in die Massen gebracht werden.. . Wir brauchen einen Drucker dafür«, sagte er.
    »Das bringt dich auf, paß auf«, riet ich ab, aber er blieb beharrlich.
    »Die Massen müssen wissen, wie sie belogen worden sind«, erwiderte er.
    »Ach was! ... Belogen? ... Das ist jetzt ganz unwichtig! ... Gelogen wird auf allen Seiten ... Als Propagandaschrift ist die Broschüre zu lang. Kein Mensch liest sie ... Man muß anders vorgehen«, meinte ich, »jetzt, wo alles im Rollen ist, jetzt müßten Gerüchte, ganz tolle Gerüchte ausgestreut werden ... Die Massen müssen beunruhigt werden, so beunruhigt, daß zuletzt der dümmste Spießer völlig zweiflerisch ist ... Dann kommt die absolute Passivität ... Die allein ist wichtig! ... Nicht dagegen aufstehen, daß Krieg ist, einfach ihn in nichts unterstützen, das ist's . ..« »Tolstoj gilt jetzt nicht«, warf mein Genosse hin.
    »Ach was, Tolstoj! ... Der gilt immer und ewig! ... Aber das ist doch richtig: Wenn keiner mehr

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