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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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mitmacht, ist's aus«, bestand ich. Er schüttelte nur immer wieder den Kopf und lächelte merkwürdig. Mein Freund war kein Schwätzer. Er vertrug auch keine Ablenkung. Bald fand man heraus, daß er das, was er sich in den Kopf gesetzt hatte, mit aller Beharrlichkeit und Überlegung durchzuführen versuchte. Etwas nur behinderte seine Entschlußkraft immer wieder. Für ihn war alles - das Größte und das Kleinste - ein Problem. Er konnte sich stumm für etwas einsetzen, wenngleich ihn tausend und aber tausend Widerstände hin und her warfen. Er wollte mit jeder Angelegenheit gleich ins reine kommen, griff sie sofort mit all seiner bohrenden Nachdenklichkeit auf und geriet, weil jede Stunde, ja, jede Minute immer neue Fragen aufwarf, oft und oft ins Gewirr. Mich nannte er »Nihilist« und war der Ansicht, solche Leute hätten mit der eigentlichen Revolution nichts zu tun, sie wären bloß als Propagandisten zeitweise zu brauchen.
    »Wir müssen dazutun! Die Broschüre muß raus! Es geht bald los!« sagte er stets unterm Diktieren und trieb mich an, und endlich war das Manuskript fertig. Am selben Abend ging ich trotz Pegus Abraten wieder zum Diskussionsabend der Unabhängigen. Dort hielt der aus Heidelberg geflüchtete Ernst Toller eine flammende Rede gegen den Krieg. Hitzig, ekstatisch, mit wilden Gestikulationen und verzerrtem Gesicht schrie er seine Gefühle heraus. Er zitterte wie fiebernd und schäumte auf den Lippen.
    Ganz schwarz kam er mir vor. Tiefe, dunkle Augen, schwarze, dichte Haare, schöne Augenbrauen und ein etwas gelbliches Gesicht. »Ihr Mütter!« hub er an - immer wieder - und malte mit dichterisch-rethorischem Feuer die Greuel des Krieges: »Ihr Brüder und Schwestern!«
    Er riß alle mit. Einzelne Frauen weinten oder wurden ganz wild. »Nieder mit dem Krieg! An den Galgen mit Ludendorff!« stimmte alles zu. Geweckt und unternehmend gingen wir auseinander. »Arbeite jeder, was in seinen Kräften steht!« hatte Eisner geraten. Toller fuhr mit mir eine Strecke mit der Straßenbahn. Er unterhielt sich fast fliegend, er hetzte die Worte nur so heraus. »Schreiben Sie auch?« fragte er mich.
    »Jaja, allerhand«, erwiderte ich, und er erzählte mir von einem Drama, das bereits im Druck sei. Eine kleine, blonde Freundin war mit ihm, die ihn in einem fort wie stumm bewundernd ansah. Ich drückte den beiden die Hand und stieg aus.
    Am andern Tag ging ich zu dem Buchdrucker, der früher einmal Neuland drucken sollte. Ich besprach die Sache mit ihm und händigte ihm das Manuskript aus. Der Mann sah flüchtig auf den Titel und sah mich dann an. »In wieviel Exemplaren wollen Sie es haben?« fragte er.
    Ich antwortete nicht gleich. Der Buchdrucker fixierte mich mißtrauisch. Ich ärgerte mich insgeheim über mein ungeschicktes Benehmen.
    »Ja, in zwei- oder dreitausend Exemplaren vielleicht«, sagte ich dann.
    »So, jaja, wie gesagt, mein Herr, das kann ich nicht gleich sagen ... Ich muß erst kalkulieren«, meinte der Mann und besah wieder die Broschüre. »Soll das gewiß eine Aufklärungsschrift sein?« erkundigte er sich. »Ja ... Ein Bericht«, gab ich zur Antwort.
    »Gut, also übermorgen«, sagte endlich der Buchdrucker und erhob sich. Ich ging.
    »Du ... Ich glaub', ich glaub'... Der Mann hat mir gar nicht gefallen«, sagte ich später unbehaglich zu Pegu. Der schwieg und verzog bloß seine Mundwinkel ein wenig.
    »Schließlich, weißt du ... Lesen wird er's doch nicht«, beruhigte ich meinen Genossen und mich selber. Einsilbig gingen wir auseinander. Zwei Tage darauf kam Pegu mit dem Geld für die Herstellungskosten. Er war aufgeräumt und munter. Wir machten uns auf den Weg. Es war ein heller Tag, und das machte heiter. Zufällig trafen wir Schorsch an einer Straßenecke und rissen ihn mit. Vor dem Hause, in welchem sich die Buchdruckerei befand, ließen wir Schorsch warten. Rasch traten wir durch die zwei Hausgänge und Höfe ins letzte Hinterhaus und traten ins Büro. Der Buchdrucker saß diesmal fast so da, als wenn er auf uns gewartet hätte, hatte ein auffällig bleiches Gesicht, hielt - ein ganz klein wenig zitternd - das Manuskript in der Hand, erhob sich bei unserem Eintritt sofort und sagte tonlos: »Herr Gra-af - da-da haben Sie -«
    Er brach ab. Mich durchzuckte ein jäher Gedanke. Im selben Augenblick trat hinter uns ein ziemlich stark gebauter Mann ein, und aus der Türe der Druckerei kam ebenso hurtig ein kleinerer. Beide riefen gleichzeitig: »Meine Herren, wie heißen Sie denn?

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