Wir sind Gefangene
weiter«, sagte ich hastig zu Pegu und rannte dem Bekannten nach.
Friedrich Wunder, wie dieser Mann hieß, war seit ungefähr eineinhalb Jahren mein bitterster Feind. Er war schon dazumal, als ich in Haar lag, in der Hauptanstalt Eglfing als Zivilirrer und durfte jede Woche einmal nach München fahren. Ich gab ihm einmal Geld für Zigaretten mit. Er brachte nichts, verbrauchte das Geld und ließ sich nicht mehr sehen. Als ich ihn endlich wieder erhaschte, schlug ich ihm eine Ohrfeige herunter. Seit dieser Zeit war es unmöglich, ihm nahezukommen.
Friedrich Wunder nämlich war nicht nur zutiefst verletzt, er war auch sonst ein völlig ungegenwärtiger Mensch und ein Ästhet, den schon eine nüchterne Frage aus der Fassung bringen konnte. Er ging herum, nein, er wandelte dahin wie eine attrappenhafte Erinnerung aus der längstverflossenen Bohemezeit. Meistens redete er halblaut vor sich hin, und kam er wirklich mit einem Bekannten zusammen, so rezitierte er unablässig Gedichte Georges, Rilkes, redete von Michelangelo, von den Präraffaeliten und hielt sich zu Zeiten seelischen Überschwangs für eine Erscheinung wie Savonarola. Schon auf seinem Gesicht stand ein tiefeingewurzelter Haß gegen den Bürger und das hypochondrische Mißtrauen gegen jedermann. Seine kleine, zusammengeschrumpfte, zerfallene Figur steckte stets in viel zu großen, zerfalteten Kleidungsstücken. Der zerschlissene, wahrscheinlich von einem Fettwanst stammende Bratenrock hing erbarmungswürdig an ihm herab, die zu langen Hosen erinnerten an eine Ziehharmonika, die Schuhe waren viel zu lang und ausgetreten, das Band der Krawatte saß meistens zwischen Genick und Haar über dem schmutzigen schwarzen Papierkragen, und endlich der viel zu kleine Hut klebte gleichsam auf dem zerzausten, schinnigen Haar. Bei Ausbruch des Krieges fand man ihn an einem frühen Morgen halb erfroren und ausgehungert auf der Straße und brachte ihn in eine Heilanstalt. Von Beruf eigentlich halbgelernter Photograph, hatte er zur Zeit den Drang, Batikteppiche herzustellen, und kaufte für jeden Pfennig Geld Kerzen. Man erzählte, daß er schon ein ganzes Lager gehamsteter Wachskerzen habe, die er wie Kleinode hütete.
Er hatte auch dieses Mal wieder einen Packen unter dem Arm und rannte wie ein Wiesel dahin.
»Mensch! Wunder!« schrie ich leger, als ich ihn endlich auf vier Schritt Entfernung erreicht hatte, und ging ganz an ihn heran. »Ha-a-a-aha-ha, boshafter Knochen!« gurgelte er heraus und glotzte mich an wie ein abgestochenes Kalb. Seine heraushängenden Wasseraugen schielten mißtrauisch auf mich. Er war stehengeblieben.
»Ach was, Wunder, das war damals eine Dummheit von mir mit der Ohrfeige, komm, sind wir wieder gut«, fuhr ich mit unbeirrter Freundlichkeit fort und erkundigte mich: »Bist du noch immer in Eglfing?«
»Ha-a-a-a-ha-a-ha-ha! J-hja-ja, in Englfing!« lachte er verbockt und nickte.
»Hör mal, kann man dich in München anmelden?« fragte ich kurzerhand und überhörte sein Dazwischenlachen. Sein Gesicht war im Nu beleidigt. Er faßte alles als Spott auf. Ich gab ihm eine Zigarette. Auf Guttaten reagierte er stets überraschend und wurde jetzt zugänglicher.
»Du batikst doch und willst deinen Beruf später ausbauen .. . Ich hab' da einen Mann an der Hand, der dir eventuell sein Atelier zur Verfügung stellen würde, verstehst du? ... Du brauchst nicht mißtrauisch zu sein ... Es ist wirklich wahr ... Ich werde, wenn du willst, sogar das Atelier auf deinen Namen anmelden, willst du?« klärte ich ihn arglos auf.
Aber er glaubte kein Wort, brach in ein schallendes Gelächter aus und feixte herum wie ein Clown.
»Ha-a-a-aha-haha, Hundsknochen, spöttischer, ha-a-ha-ha-ha!« grölte er heraus. »Natürlich, Fritz Wunder soll wieder einmal den Clown machen, ha-ha-ha, Knochen . ..!«
Ich wurde wirklich selber ratlos und redete noch ernsthafter und mit dem besten Willen gutmütig. So zwischendurch erkundigte ich mich nach seinem Alter und holte sein Geburtsdatum aus ihm heraus. »Fritzl, also Fritzl!« rief ich, nachdem mir das gelungen war, auf einmal in ganz anderer Tonart und hieb ihm abschreckend gemein auf die zuckenden Schultern, »Fritz, du bist wirklich unerhört! ... Du bist grandios! ... Du bist noch viel mehr wie Savonarola! ... Du bist wie ein lebendiges Scheißhaus, in dem ein Rilkegedicht drinnen steht! ... Fritzl, ich liebe dich!«
Ich erreichte auch damit, was ich beabsichtigt hatte, nämlich wiederholte, verschärftere
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