Wir sind Gefangene
verhinderst du Streit mit Selma, und was ist für das kommende Kind alles zu besorgen. Ja, und die Versatzzettel, hm, dort kriegt man billige Marmelade, da preiswerte Heringe, das Gas muß bezahlt werden usw.
Und zu alledem fiel mir auch wieder das Drama ein und die ganze Zeit, die ich unnütz hatte verstreichen lassen. Sicher hatte der Professor schon aus der Zeitung von meiner Verhaftung gelesen und wird selbstverständlich für mich recht ungünstige Konsequenzen ziehen. Außerdem war auch das Ende des dritten Stipendium-Monats sehr nahe.
Ich entschuldigte mich vor allem brieflich bei meinem Mäzen und gab an, daß mich nur eifrigste Arbeit am Drama gehindert hätte, mich einmal sehen zu lassen. Ich erwähnte nichts von der Verhaftung. Eine Karte kam als Antwort: »Keine Rücksicht, lieber Herr Graf! Arbeit entschuldigt alles.« Also das Drama schreiben!
Mißmutig begann ich. Mein ganzes Hirn nahm ich zusammen, um etwas zu erfinden. Erinnerlich war mir, daß der Professor Harms Johsts und Unruhs Art zu schreiben sehr gern hatte. Gut, sagte ich mir, die haben Verse geschrieben, da mußt du also auch so etwas Getragenes zusammenmachen, und zwar möglichst schwungvoll. Das allerschwierigste war die Handlung. Ich grübelte und grübelte, und nach etlichen Tagen endlich schwebte mir der Umriß eines Revolutionsstückes durch den Kopf. Ganz allmählich wurden in meinen Gedanken auch die Szenen greifbarer. Ohne eigentlich zu wissen, wie alles ausginge, fing ich schließlich an, mit aller Gewalt die Verse aus mir herauszupressen. Der Held des Dramas war selbstverständlich eine mit damals moderner Allerweltsethik erfüllte Künstlernatur, ein Mensch also, fast nichts als Idealismus, der sein Volk zur Freiheit führte und dabei umkommt. Das war sicher tragisch, denn was einmal mit dem Tod abgeht, gegen so etwas war nichts einzuwenden. Ich suchte einen sehr schlagenden Titel und fand ihn als erlösendes Wort im Fremdwörterbuch, nämlich Diktator .
Tribun wäre ja auch schön gewesen, aber Diktator war viel zeitgemäßer und für mein Gefühl auch mächtiger und aktiver. Also schrieb ich auf ein leeres Schreibmaschinenpapier, schön in die Mitte: » Der Diktator , eine Tragödie in drei Akten von Oskar Maria Graf.«
Erster Akt, ärmliche Dachkammer natürlich. Auseinandersetzung des Helden mit der Frau, weil die größte Not hereingebrochen ist. Die Frau will, daß der Mann einen reelllen Verdienst sucht, der Held hingegen schwebt in der Idee und spricht gleich einen schwungvollen Vers, daß das Volk die Not nicht mehr aushält, und daß er keine Ruhe mehr hat. Es beginnt ein Streit zwischen den Eheleuten, und schließlich geht der Held mit dem feierlichen Ruf:
»Es geht nicht mehr! Ich kann es nicht mehr tragen!
Das Volk hör' ich aus meinen Träumen klagen!
Ich lasse dich zurück, du Glaubenslose,
denn du bist klein!
Mein Weg führt nur ins Große!«
Der Vorhang fällt. Man hört Lärm hinter der Bühne, der ungefähr so viel besagt, daß das wartende Volk seinen Führer jubelnd begrüßt. Ich war jetzt aufgeweckter. Der zweite Akt mußte geradezu brodeln von Handlung. Zuerst hielt der Held eine lange Rede auf einem freien Platz, dann kamen mitten drinnen berittene Polizei, Zusammenstoß, Kampf und Geschrei in Hexametern, Tote und Verwundete und zum Schluß eine Verschwörerversammlung in einem Keller. Die Getreuen bringen ihren verwundeten Führer auf einer Tragbahre herein, er erhebt sich mit aller Kraft und spricht selbstverständlich auf das Häuflein Aufrechter ein. Auf einmal hört man draußen den triumphierenden Lärm des siegenden Volkes, und ein verwilderter Mann schreit aufmunternd zum Kellerloch herein:
»Steht auf, Verfolgte und Verzagte,
denn es gelang der Macht des Volks, daß Freiheit tagte!«
Alle stürzen hinauf und reißen den Führer mit. Der reckt sich auf,
hebt die Arme beschwörend zum Himmel und ruft von der Bühne aus
gleichsam ins Publikum:
»Gewagt der Kampf! Durch Blut und Wunden
hat sich das Volk den Weg gefunden
zum Licht!
Nun aber, wehe! folget das Gericht!«
Unter den Klängen und dem Abgesang der Marseillaise fällt der wirkungsvolle Vorhang. Jetzt war ich selber schon begeistert von meinem gewaltigen Werk. Nur wußte ich nicht mehr recht, was der dritte Akt enthalten sollte.
Die halbe Nacht dachte ich nach. Selma stöhnte. Ab und zu machte sie Licht, schüttete Asthmapulver auf ein kleines Tellerchen und zündete es an, um durch Einatmen desselben mehr Luft zu
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