Wir sind Gefangene
vorsorgen. Ich ging wieder in den Simplizissimus . Am Künstlertisch handelte man mit Brotkarten, die zu damaliger Zeit sehr rar waren. Nach Fleisch, Wurst und Butter wurde gefragt. Ich horchte auf. Es fiel mir ein Mann ein, den ich bei der Hauptpost kennengelernt hatte. Von dem konnte man alles beziehen. Er wohnte ganz in unserer Nähe. Ich suchte ihn auf. Er tat sehr mißtrauisch. Ich wurde ungeduldig. »Mensch«, sagte ich, »ich hab' doch eine Menge Kunden ... Das Geschäft kann uns ernähren.« Er wollte kein Geld, sondern Butter. Ich rannte herum und horchte überall. Selmas Chef, der Grabsteinfabrikant, bekam von seiner Landkundschaft massenhaft Butter und Eier, aber er gab nichts her.
Lieber wurde alles ranzig und stinkig.
»Wir müssen zu Geld kommen«, sagte ich zu Selma, »der Kerl lebt vom Umbringen anderer und war' ohne Krieg ein armer Lump. Preß ihm unbedingt Butter ab ... Das ist bares Geld für uns.«
Am andern Abend brachte sie ein Pfund Butter. Ich erhandelte vier Brotkarten dafür und bekam für eine fünf Mark. Dieser Erfolg machte mich sogleich emsig. Ich plante schon wieder die riesigsten Geschäfte. Zwar rückten die Leute vom Geist verächtlich von mir ab. Jeder sagte: »Der kleine Schieber dort«, aber jeder wollte von mir beziehen. Ich galt in kurzer Zeit als der Mann, von dem alles zu haben war, denn ich sagte nie »nein«, sondern stets: »Ich will mal schauen ... Ich glaub', ich kann's beschaffen.«
Es lief mir ein Mann in die Hände, von dem man sich erzählte, er habe ganze Warenlager. Er war früher Barmixer und - komisch - er ging eines Tages geradewegs auf mich zu, sah mir schnüffelnd in die Augen und raunte: »Herr Graf, ich hab' gehört, Sie können Eier brauchen?« Ich nickte vorsichtig und wollte nicht gleich mit der Sprache heraus. Er sagte geschäftsmäßig: »Besuchen Sie mich mal morgen.«
Am selben Abend erkundigte ich mich unauffällig im Simplizissimus nach den meist begehrten Waren. Eine Tänzerin wünschte Seidenstrümpfe, ein Zuhälter wollte Ölsardinen und feine Wurst, einem dicken Mann mit einem Schwarm Damen um sich versprach ich feinste Friedensseife herbeizuschaffen, ich traf einen kleinen schafgesichtigen Holländer, der im Ruf eines ungeheuren Reichtums stand, setzte mich lächelnd zu ihm und fragte, was er wünsche. »Weiche Schweinszungen, Schinken«, sagte er und erkundigte sich nach meinen sonstigen Waren.
»Effeff Schokolade ... Eier, frische Butter, Fleisch, ganz frisch«, zählte ich kaltblütig auf.
»Wissen Sie was, hier haben Sie Geld, bringen Sie mir morgen was«, sagte er und gab mir hundert Mark.
»Gut«, sagte ich, »Sie werden zufrieden sein.« Ich kam heim und konnte kaum schlafen vor Erwartung.
In aller Frühe suchte ich den früheren Barmixer auf. Der Mann enttäuschte mich nicht. Seine große, gediegen bürgerlich eingerichtete Wohnung war bis auf das Wohnzimmer völlig abgedunkelt. Dichte Vorhänge versperrten das Tageslicht. Er knipste das elektrische Licht an, und es war mir, als stünde ich in einer unwirklichen Tropfsteinhöhle. Gewaltige Schinken, Räucherzungen in allen Größen, Salamiwürste und ganze Schweinsrippen hingen - fein geordnet an langen, an der Decke befestigten Stangen - dicht aneinandergereiht herunter. Kisten voll Eier, Stoffe, Seide, Schuhe, Schokolade, Schmalztöpfe, Gansfett und Butterstücke erblickte ich. In der Mitte war ein saubergescheuerter Tranchiertisch mit zwei Waagen und einer ganzen Skala von blitzblanken Messern. Ich war überwältigt und brachte kaum ein Wort heraus. Der Mann führte mich in ein anderes Zimmer. Dort waren Wein- und Schnapsflaschen, aufgeschichtet in Regalen und numeriert. In der Küche waren Seifen und Toiletteartikel aller Gattungen. Alles, was in dieser Zeit fast vergessen schien, war hier in unglaublichen Mengen.
Mit Schauder dachte ich an die herrschende allgemeine Not, einen Augenblick kam mir sogar der verwegene Gedanke, dies alles anzuzeigen, es durch alle Straßen zu schreien, dann wieder raffte ich mich zusammen, erinnerte mich an meine Misere und murmelte: »Hm, da sind freilich gute Geschäfte zu machen.«
Der Mann schnitt ein äußerst kulantes Gesicht und führte mich wieder ins Wohnzimmer zurück. Er bot mir besten Kognak an, wunderbares Gebäck und Schinken. Trotzdem mir das Wasser im Munde zusammenlief, aß ich zerstreut und appetitlos.
»Wie gesagt, Herr Graf, Sie wollen verdienen, und ich bediene Sie gut ... Wir haben beide das gleiche Interesse«, leitete
Weitere Kostenlose Bücher