Wir sind Gefangene
der Mann die Auseinandersetzung ein und offerierte mir seine Artikel an Hand einer mit Schreibmaschinenschrift geschriebenen Preisliste. »Lieferung nur gegen bar« stand oben drüber.
Ich sagte: »Ja, ich nehm' einmal je zwei Schweins- und Kalbszungen, nicht zu schwer und sehr weich, dann vielleicht Schinken, aber einen sehr guten ... Ja, Seidenstrümpfe und Seife, das kann ich auch brauchen.« Ich war wieder ruhig und geschäftlich. Den Hundertmarkschein legte ich hin. Wir kamen überein, daß ich abends die bestellte Ware abholen sollte. Bei Tage war's zu gefährlich. Der Holländer war sehr zufrieden mit der Lieferung und bestellte neu, gab auch gleich wieder Vorschuß von abermals hundert Mark. Ich spekulierte mit dem Überschuß, so gut ich konnte, belieferte jeden mit Dingen, die er wünschte. Es war mir leicht, es war immer Geld da, und nun konnte nichts mehr schiefgehen. Am Monatsende teilte mir der Professor mit, daß mein Stipendium weiterginge. Ich war fast mehr bestürzt als erfreut davon. Ein sehr begeisterter Brief vom Professor über einige Gedichte kam. Ich wollte die Schieberei aufgeben und ruhig dichten, aber der Geldstrudel hatte mich bereits wieder erfaßt. Es erging mir schier wie einem Spieler, der die Höllenhaftigkeit seiner Leidenschaft wohl einsieht, aber nicht mehr loskommt. Zu leicht verdiente sich das Geld, zu verlockend war die Abenteuerlichkeit meiner neuen Beschäftigung, und wenn man jahrelang immer in widerwärtiger, erniedrigender Unsicherheit steht, dann bekommt man Hunger. Hunger nach gutem Leben, Hunger nach Macht, Hunger auf alles Annehmliche, was die andern haben, die Satten, die Sicheren und die Überlegenen. Gelten will man was, nicht immer getreten sein, nicht Tag für Tag im Pech stehen. Beim schafgesichtigen Holländer, dessen Freundin Marietta geworden war, hatte ich einmal getafelt, Speisen verzehrt, die ich noch nie zu kosten bekommen hatte, traumhaft mundende Weine geschluckt. Lustig wurde man zuletzt, überströmend lustig. Wie ein Märchen war's gewesen.
Ich warf mich erst recht auf das schnelle Verdienen. In den Simplizissimus kam ich, setzte mich zwischen die diskutierenden Dichter und Künstler und zog auf einmal eine lange Hartwurst aus der einen Brusttasche, aus der anderen Damenstrümpfe, aus der Joppentasche feinste Schokolade.
»Wollen Sie Wurst, Mann? Wurst! ... Das ist das einzig Reelle!« warf ich in die Diskussion: »Und hier bitte, effeff Seidenstrümpfe! Schokolade! ... Was wünschen Sie? ... Alles hab' ich!«
Gemein und rachsüchtig sagte ich es. Scheelsüchtig sah man mich an, zu einem maliziösen Lächeln zwang man sich.
»Was ist das alles! Menschlichkeit! Pazifismus! ... Hier, meine Herren, das ist das Richtige ... Friß oder werde gefressen!« rief ich mit jener listigen Abgebrühtheit, wie sie nur Menschen haben, die sich mit allen Mitteln Geltung verschaffen wollen. Die Tänzerin lispelte dem Dicken ins Ohr und hob besoffen die Strümpfe in die Höhe, entriß mir die Schokolade und lachte geil. Der Dicke zog seine Brieftasche und bezahlte. Alles glotzte auf das Geld. Lässig, wie eine nichtssagende Kleinigkeit, steckte ich es ein. So ging es oft und oft. Ich betrank mich, ich kam keine Nacht mehr heim. Rechnen war nie meine Sache gewesen. Ebenso leicht wie sich das Geld verdiente, ebenso unkontrollierbar schnell zerrann es mir. Und selbstverständlich jagte ich immer mehr danach.
»Was Dummheiten! Geld?! ... Geld ist jederzeit da! Da hast du!« fuhr ich Selma an, wenn sie Einkäufe machte. Unser Zusammenleben hatte sich zu einem mißmutigen Gegeneinander entwickelt. Kam sie heim, ging ich fort und suchte Gesellschaft. Ich besuchte meinen Lieferanten, den früheren Barmixer. Er war sehr freundlich gegen seine beste Kundschaft. Wir hockten uns breit in sein Wohnzimmer und tranken Bruderschaft. Er schenkte immer wieder ein. Ich setzte das Glas an und trank es stets in einem Zug aus. Mein Hirn wurde schon langsam dumpfig. Ich wurde sentimental, melancholisch wie eine alte Jungfrau, dann wieder schrie ich meine widerliche Stimmung übermütig tot.
»Immer dieses Scheißgeld! Dieses Hundsgeld!« brummte ich. Glucksend stürzte ich den Schnaps hinunter.
»Geld stinkt nicht! Immer Geschäft! Geschäft!« feuerte mich mein neuer Freund an. Ich roch die Scheine. Sie stanken wirklich nicht. Ich lachte grölend auf und sank schwerberauscht über den Stuhl hinab. Alles drehte sich.
»Schnaps her! Geld her und gelebt, daß die Fetzen fliegen!«
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