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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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drohend. Ich schaute dumm auf das Loch in der Türe und blieb stehen. Der Wärter ging längere Zeit draußen auf und ab und brummte ärgerlich. Ich ließ mich auf die Pritsche fallen und dachte an gar nichts. Es blieb nichts übrig als zu warten, ungewiß zu warten. Gegen Abend am zweiten Tag holte mich unerwartet der Schutzmann und führte mich abermals zu Fuchs. Der gab mir noch eine große Lehre, untermischt von drohenden Warnungen. Ich sagte nur ab und zu »Ja« und »Ja« und durfte gehen.
    Die Luft atmete ich ungeheuer frisch ein, als ich das Polizeigebäude verließ. Kalt war es, aber ich spürte nichts. Der gefrorene Schnee unter meinen Füßen knirschte, und durch das klare Dunkel stachen die Laternen.
    Jetzt hatte ich Hunger nach einer Zigarette. Ich suchte in meiner Tasche nach Geld. Ja, richtig, ich hatte ja alles ausgehändigt bekommen, Geld, meine Schlüssel und die Brieftasche. Ich ging in einen Laden. »Ja, zu drei, zehn Stück«, sagte ich und zündete eine Zigarette an. Wie traumwandlerisch wankte ich aus dem Laden, behaglich sog ich den Rauch ein. Ganz langsam fiel mir wieder ein: Ja, du wohnst in der Schraudolphstraße, ja, die Selma ist schon daheim, ja, du kannst dir wieder vornehmen, was du willst. Jetzt hatte ich wieder meinen Willen und die Gedanken. Eins nach dem andern wurde wieder wirklich, die Straßenbahn, die Menschen, die Häuser, die Lichter. Als ich im Atelier ankam, lächelte ich Selma an. »Gott sei Dank«, sagte sie und setzte hinzu: »Da hast du's jetzt, weil du dich immer für andere hergibst.« Ich gab nicht weiter an und ließ sie reden. Nicht einmal Hunger hatte ich. Gleichgültig trank ich den Tee und zerkaute das Marmeladebrot.
    Am andern Tag suchte ich Schorsch auf.
    »Wo wird Pegu sein?« fragten wir uns zugleich und zuckten gleicherzeit die Achseln.
    »Du, der große Streik ist zusammengebrochen ... Alles ist verhaftet: Eisner, Kämpfer, die Geschwister Landauer, alle ... Und in Berlin genauso! ... Jetzt geht das Spitzelwesen erst recht an«, erklärte mir Schorsch. »Ganz gleich! ... Lang geht's nimmer so weiter!« brummte ich verdrossen.
    »Mein Bub wird einmal kein Soldat! ... Nie!« sagte Maria Uhla und blickte auf ihren runden Leib. »Lieber ein Strolch!« Sie lächelte weich und mit einer bestimmten Zuversicht.
    Die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk verliefen ergebnislos. Man ging auseinander. Trotzki hatte das Kriegsende erklärt und keinen Vertrag unterschrieben. Die deutschen Heere, vereint mit russischen Gegenrevolutionären, kämpften weiter gegen den Bolschewismus und gegen ein niedergebrochenes Land. Der sowjetische Außenminister hatte einen großen moralischen Sieg errungen, denn gegen Wehrlose, die die Waffen strecken, sagte sich jeder, gegen die läßt sich leicht kämpfen. Mit der Ukraine, hieß es, sei endgültiger Friede. Von dort her komme bald Brot. Aber es kam keins. Man hörte von einer neuen Offensive Ludendorffs im Westen. Ab und zu erschien jetzt ein Kriminaler bei mir oder erkundigte sich bei den Hausleuten über mein Tun und Lassen. Alles sah mich schief, fast furchtsam an. Auf Umwegen suchte ich lange vergebens nach Pegu. Endlich erfuhr ich, daß er nach Berlin in ein Militärgefängnis gebracht worden war. Kurz darauf wurden Schorsch und ich einmal vernommen auf der Polizei, rechneten schon, daß man uns behalten würde, wurden aber wieder freigelassen.
    »Du, das ist seltsam«, sagte Schorsch nachdenklich auf der Straße, »hm ... sehr seltsam.«
    »Am Ende steht es schon viel wackliger, als wir wissen«, meinte ich beim Auseinandergehen. Von da ab verhielt ich mich ruhig, die Bespitzelungen hörten auf, nur schien es mir manchmal, als überwache man meine Briefe.

XV
KLÄGLICHE ZWISCHENZEIT

    Solange ich sozusagen in der revolutionären Strömung gestanden hatte, waren alle täglichen Mißlichkeiten fast weggelöscht. Das Allgemeine, in das ich geraten war, hielt mich ununterbrochen in Spannung. Jeder Tag war eine Sensation. Mit einer Hoffnung schlief man ein, mit einer großen Erwartung erwachte man.
    Jetzt aber, nachdem - rein oberflächlich gesehen - der erste Anlauf der unzufriedenen Massen jäh aufgehalten worden war, nachdem der Wille zum Aufruhr durch Verhaftung der Führer und brutale Schikanen schier ausgerottet war, jetzt stand ich wieder im Kreis der Misere. Jetzt war ich wieder ein wehrloser einzelner, für den die hauptsächlichsten Wichtigkeiten darin bestanden: wie bringst du Geld auf, wie soll alles weitergehen, wie

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