Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
bekommen.
    Ich rührte mich nicht und sann. Nachts so wach liegen, wenn's immer stiller und stiller wird, ist gefährlich. Auf einmal merkt man, wie unwichtig, wie lächerlich wichtigtuerisch man sein bißchen Leben vergeudet. Ganz kleinweise und quälend kommt man hinter seine Jämmerlichkeit. Kläglich gleiten die Erlebnisse, die Tage und Jahre vorüber, alles läuft davon, rinnt weg ... Am andern Tag erwachte ich bösartig und gehässig. Sicher hätte ich die Katze von der Hausbesitzerin erschlagen, wenn sie auf der Kohlenkiste, draußen vor der Tür, gehockt hätte. Selma war weg, kalt war es, dumm und widerwärtig standen die Möbel herum, und zum Fenster herein glotzte die Helle.
    Erst nach langer Zeit ermannte ich mich und begann den dritten Akt. Er soll wenigstens den guten Willen sehen, spornte ich mich an und dachte an den Professor. Ich war schon wieder gar nicht mehr überzeugt von dem grandiosen Werk. Dennoch - folgende Handlung bildete den Schluß: Aufstand verläuft siegreich, das Volk nimmt alles in die Hand, und der idealistische Held wird von seinen einstigen Anhängern als Hochverräter hingerichtet. Sein Weib steht in der ärmlichen Kammer und sagt einen langen Monolog über Heldentum und Geist der Menge, über Masse und Menschentum. Wenngleich mir das Ganze jetzt schier ekelhaft war, atmete ich doch auf und versuchte Selma davon zu überzeugen, wie begeistert der Professor davon sein würde. Sofort schickte ich das Manuskript ab, und einige Tage später bestellte mich mein Mäzen in den Hofgarten zu einer Aussprache. Schon von weitem sah ich ihn und wußte auch schon alles. Wir gingen auf und ab. Es war ein schöner Tag. »Herr Graf, das ist kein Drama! ... Ich sollte nie was gesagt haben zu Ihnen«, fing er an, »nein-nein, Sie sind kein Dramatiker ... Ich mache mir fast Vorwürfe ... Man kann die Poesie nicht kommandieren.« Ich stimmte schüchtern zu. Er sah mich von Zeit zu Zeit durch seine scharfen Brillengläser an. Ich wurde immer unsicherer. Ich ließ ihn reden, nickte und sagte von Mal zu Mal: »Jaja, das schon!« Ich schämte mich bis ins Innerste vor dieser teilnehmenden Ehrlichkeit und dachte schon im nächsten Moment mit geradezu panischer Angst an das Stipendium, das ich nun wohl nicht mehr bekommen würde. »Schon dieser dumme, zeitungshafte Titel!« begann der Professor wieder, »und dann diese ganzen Phrasen! ... Wenn ich da an Ihre Gedichte denke, da ist alles gewachsen, und hier? ... Alles so holperig ... Es ist keine Idee im Ganzen! ... Sie müßten Kleist lesen ... Aber nein, ich will Ihnen lieber nichts raten ... Nein-nein, wissen Sie, bei Ihnen verletze ich ja nicht, Sie haben ja Humor ... Aber das Ganze ist der reinste Gallimathias ... Nicht Fisch und nicht Fleisch.« Ich lächelte verlegen. Ich schaute ihn nicht an, ich sah an ihm vorbei, wenn er stehenblieb.
    »Ja, d-das ist ja schließlich erst ein Versuch, Herr Professor«, brachte ich endlich heraus. Aber er wehrte sofort ab. »Herr Graf, ein Dichter darf sich keine Pflicht machen!« Das tat mir wohl in den Ohren. »Das muß alles wachsen aus einer echten Notwendigkeit ... Sonst rühren Sie lieber keine Feder mehr an ... Man kann nichts machen wollen , verstehen Sie mich?« sagte er wiederum.
    »Ja«, sagte ich, »Herr Professor, ich versuch's doch noch einmal ...« Mit einer entschuldigenden Beharrlichkeit, wie sie nur ein Mensch hat, der seinen Fehler einsieht und ihn nun absolut wieder gutmachen will, brachte ich es heraus. Aber der Mann neben mir blieb bei seiner Meinung.
    »Herr Graf«, sagte er fast mit einem leichten Anflug von Melancholie, »Sie sind ja noch so jung! ... Was tut da ein Fehler ... Ihre Gedichte sind echt in jeder Falte ... Wenn Sie alles so schreiben wie diese Gedichte, dann wird auch was daraus ... Es kann ja sein, daß Sie später einmal wieder ein Drama schreiben, aber das ist gar nicht wichtig ... Wichtig, sehn Sie, wichtig ist nur, daß man sich treu bleibt ... Sie fangen erst an, Lieber! Sie haben doch noch alles vor sich...«
    Ich wurde immer verwirrter und redete zuletzt alles durcheinander. Als wir auseinander gingen, gab mir der Professor das Manuskript. Den monatlichen Scheck würde er in den nächsten Tagen schicken, meinte er, und er könnte im Augenblick nicht sagen, ob das Stipendium auch noch weiter für mich frei sei.
    Ich kam heim und verbrannte das Drama. Gott sei Dank, das war vorüber, und die hundert Mark bekam ich noch für diesen Monat. Jetzt hieß es auf alle Fälle

Weitere Kostenlose Bücher