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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Namen ... Da haben Sie sich schon von vornherein strafbar gemacht ... Das gibt's doch nicht, daß man einem Menschen, den man nicht kennt, einfach soviel Gefälligkeiten tut...«
    Ich stellte mich fester hin und sagte bestimmt: »Ich bin Katholik, Herr Kommissar! ... Der erste Grundsatz des christlichen Glaubens ist doch, man soll dem Nächsten helfen ... Wenn wer zu mir kommt und bittet mich, so kann ich nicht zuerst Recherchen anstellen ... Ich hilf, wenn ich kann, und damit ist's gut ...« Fuchs beugte sich jetzt ein wenig vor.
    »So!« rief er auf einmal triumphierend und fuhr resolut fort: »Sie sind doch nicht so dumm, daß Sie nicht gewußt hätten, daß zum Beispiel Eisner und diese Konsorten eine Revolution wollen ... Sie haben doch da einmal mit Ihrem Freund gesagt, man muß dem Staat den Gehorsam verweigern! ... Der Eisner und die Unabhängigen Sozialdemokraten haben doch immer gesagt, gestreikt muß werden, daß der Krieg aufhört und die jetzige Staatsordnung geändert wird ... Da hat man doch sogar den Grundsatz gehabt, jedem Deserteur muß geholfen werden!« Er war fast ins Poltern gekommen. Ich schaute ihn ohne Scheu fest an. Ein rotes, gesundes Gesicht hatte er. Not litt er nicht, das konnte man schon an seiner schönen Körperfülle sehen, und wie er sich über mich erhob und scheinbar befriedigt war von seiner Macht. So etwas regte mich von jeher an einem Menschen auf. Einige Sekunden schwankte ich, ob ich ihm nicht einfach alles ins Gesicht schreien sollte, aber gleich nahm ich mich wieder zusammen.
    »Tja, gewollt haben sie's schon ... Gewollt!« sagte jetzt ein Nebenmann von Fuchs und verzog sein unrasiertes Gesicht zu einem hämischen Lachen.
    Gewollt , kam es mir in den Sinn, und ich sagte jetzt unbeirrt: »Herr Kommissar, wir zwei können daran doch auch nichts andern.« So ironisch kam es aus mir heraus, daß Fuchs dunkelrot wurde. Er musterte mich wie einen ganz und gar heruntergekommenen Menschen, aber es traf mich nicht. Fast zum Lachen war ich aufgelegt über diese aufgeblasene Wichtigkeit. Ich dachte an ganz was anderes, an etwas, was mir nie aus dem Gedächtnis kam und immer wieder aufstieg in solchen Augenblicken.
    An meine Mutter erinnerte ich mich. Zu der kam einmal, als ich ein kleiner Bub war, eine Exzellenz und eine aufgedonnerte Frau in den Laden, und beide beschwerten sich in entrüsteten Tönen, weil das Brotsäckchen, in welchem sie die täglichen Semmeln geliefert bekamen, nicht ganz sauber war. Ich stand neben meiner Mutter. Die beiden feinen Leute redeten und redeten, als sei ihnen das ärgste Unrecht geschehen. Meine Mutter sagte fast gar nichts darauf, aber als sie draußen waren, strich sie mir verdrossen über den runden Kopf und sagte: »Herrgott, du meinst schon gleich, was sie alles sind! ... Und wenn sie nichts mehr anhaben, sind's auch nackert, und wenn's g'storben sind, sind's auch bloß ein Haufen Dreck!« Ich blickte den Fuchs an und verzog unmerklich die Mundwinkel. In strengem Ton verlas der Mann jetzt all sein Notiertes und ließ mich unterschreiben. Dann ging es mit dem Schutzmann wieder in die Zelle zurück. Seltsam befreit ging ich in derselben auf und ab und pfiff plötzlich kühn. Pegu gab sofort an.
    »Ich bin verhört worden!« erzählte ich ihm auf seine Frage. Er wollte mehr wissen.
    »Sei still, Mensch! ... Pegu?! Sei still! ... Was können denn die machen! ... Sei still! ... Und wenn wir auseinanderkommen, laß immer von dir hören!« rief ich beruhigt hinüber und »Ja, Oskar, ja!« antwortete er herzlich.
    Kurz darauf hörte ich, wie sie ihn holten. Ich wartete und wartete auf seine Rückkehr, aber er kam nicht mehr. Nach vielen Stunden pfiff ich einmal wieder. Es kam keine Antwort. Er mußte fortgebracht worden sein. Still war es, und diese Stille machte lahm.
    Ich kletterte wieder aufs Klosett und pfiff nach Schorsch, ich schrie laut seinen Namen. Nach gut einer Stunde Vergeblichkeit sprang ich wieder in die Zelle herunter. Eine unerträgliche Langeweile überkam mich. Ein Kribbeln, ein widerwärtiges Mißbehagen durchzog unausgesetzt alle meine Glieder. Mitunter flitzte ein Gedankenfetzen durch das Hirn, brach gleich wieder ab und die Leere war wieder da. Ich sprang plötzlich wütend auf das Klosett los, riß den Deckel auf und schlug ihn mit aller Gewalt wieder zu, immer fanatischer, immer schneller und schneller. Es war mir alles gleichgültig. Nur das Wasser hörte ich rauschen. Auf einmal bellte der Wärter draußen und schimpfte

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