Wir sind Gefangene
Holländer klopfte. Ich stürzte zur Tür. »Fertig?« fragte er.
»Jaja, wir können schon gehn«, hastete ich heraus und wir suchten den prunkvollen, hellbeleuchteten Speisesaal auf. Wenngleich ich mein ganzes Selbstbewußtsein aufbot, das mörderische Drücken meiner Schuhe gewaltsam mißachtete und eine kühne Legerität an den Tag legte - es entging mir nicht, wie herablassend mich jeder Kellner maß.
Auf dem Tisch, an den wir uns jetzt setzten, war für mehrere Personen gedeckt. Eine Unmasse großer und kleiner Teller standen da. Besteck, wie eine possierliche Skala, lag säuberlich daneben. Wenngleich ich von den Mahlzeiten beim Holländer schon allerhand gewohnt war, überlegte ich fort und fort, zu was nun dieser ganze vielfache Kram gehöre. Das beschäftigte mich vollauf. Ich konnte nicht recht klar werden. Aber, sagte ich mir, die Augen offenhalten ist alles!
»Hier ist's sehr schön«, murmelte ich nebenbei: »Wirklich wunderschön.«
Der Holländer hörte nicht. Er studierte mit aller Aufmerksamkeit die Weinkarte. Befriedigt murmelte er ab und zu irgendeinen Weintitel: »Hm—m—hm, Deidesheimer Hassert, Vierzehner ... Hm-hm, schauschau! ... Schiersteiner Hölle, Wachstum Groroder Hof ... M-hm-hm, Wachenheimer Riesling neunzehnhundertfünfzehn ... Wehlener Abtei, Wachstum Ehses-Koppelkamm ... Hm-hm ... Sehr schön, schön! ... Sehr schön!«
Dann kamen die Gäste. Der Buchhändler Tiedemann mit einer gutgeformten Blondine, der lange schwarzhaarige, sehr geräuschvolle Maler Starcke mit seiner Frau und der Maler Rudolph Lewy mit seinem roten unverblüffbaren Gesicht. Der Holländer machte mich bekannt. Jeder maß mich ironisch. Wein wurde bestellt, andächtig probiert und gutgeheißen. Der Kellner brachte ein märchenhaftes Hors d'oeuvre. Austern waren dabei. Ich lugte unbemerkt und flink herum, wie sie verzehrt würden und nahm die Muscheln, lutschte genau wie jeder andere den kalten Schleim hinunter. Ein Ekel stieg mir zwar jedesmal auf, aber ich schluckte mit aller Gewalt.
Das Essen kam. Man trank und wurde munterer. Ich lachte und der Schweiß stand mir auf dem Gesicht. Ich fuhr mit der Serviette darüber. Alle sahen sich etwas komisch an.
Nach dem ganzen Gefresse brachte der Kellner kristallgläserne Schalen mit Wasser, die mir größtes Kopfzerbrechen machten. Ich stockte und wartete vorsichtig ab. Solche Idioten, dachte ich, jetzt saufen sie gar noch Wasser, und griff schon nach der Schale. Da auf einmal sah ich, daß der Holländer seine Handspitzen ins Wasser steckte und sich an der Serviette abtrocknete. Schnell machte ich es ihm nach. Es verlief alles ohne Zwischenfall. Ich atmete auf. Lustig, gesättigt und zu neuen Taten angeregt, erhob man sich und ging in die Bar. Starcke erzählte unablässig von Sternheim, man lachte, Lewy machte Witze, und endlich eröffnete der Holländer seinem Freund Tiedemann die Zeitschriftenangelegenheit.
»So, hm«, machte Tiedemann und sah mich von der Seite an. Ich versuchte großzügig mein Programm darzulegen, wurde aber komischerweise unsicher und langsam zerglitt alles. Kein Mensch hatte Interesse. Man trank und trank bis weit über die Polizeistunde. Zuletzt lagen wir alle im abgedunkelten Empfangsraum des Hotels, jeder war berauscht, jeder lallte.
»Mensch, bin ich dun!« brummte ab und zu Tiedemann und ließ seinen Kopf auf die Brust herabsinken. Verärgert und kleinmütig soff ich in einem fort den öligen Whisky und verwünschte die ganze Gesellschaft. Marietta hatte also recht gehabt. Was wollte ich eigentlich hier? Am andern Tag, als wir nach einem Spaziergang durch die Stadt ins Hotel zurückkamen, übergab mir der Kellner ein Telegramm aus Berlin.
»Sofort herkommen! Hier geht es los! Wichtig!« ließ mich Schorsch wissen. Ich war bestürzt und froh zugleich, borgte mir vom Holländer Geld und fuhr auf der Stelle nach Berlin.
Pegu empfing mich auf dem Anhalter Bahnhof. Wir sanken uns buchstäblich in die Arme.
»Was ist denn los?« fragte ich und zeigte ihm das Telegramm. Er lächelte. »Ach was! Gar nichts!« murmelte er.
Ich fing furchtbar zu fluchen an, daß die Leute nach uns schauten. Wir fuhren zu Jung. Eigentlich hatte Berlin das gewöhnliche Gesicht. Die Straßenbahnen fuhren, die Leute liefen hastig, nur da und dort sah man Lastautos mit bewaffneten Soldaten und schließlich auch Stacheldrähte vor Häusern. Bei Jung erfuhren wir von Liebknechtversammlungen und daß es in den nächsten Tagen losgehen sollte. Man hockte im
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