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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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von allen gemacht werden, sonst hat's keinen Wert ... Die Mehrheitssozialdemokraten sabotieren ja doch wieder alles ... Drum ist's besser, wir schauen uns um Waffen.« »Und da, beim Schießen, da machen alle mit?« fragte ich boshaft und traurig zugleich. »Ja, da sicher.«
    »Dann sind wir alle verloren ... Die Revolution und wir ... alles«, erwiderte ich und ging.

XX
DER DUMMKOPF GREIFT EIN

    Der Satz, daß ein dummer Mensch meistens Glück hat, schien bei mir zuzutreffen. Mit der Zeit war ich in den verschiedensten Kreisen bekannt geworden. Fast jeder Revolutionär kannte mich wenigstens dem Namen nach, die Schwabinger Dichter und Künstler beneideten mich ob meiner Freundschaft mit dem reichen Holländer, andere schöngeistige Kreise hatten von mir gehört, in Zeitschriften war schon allerhand erschienen und vor einigen Wochen auch ein Gedichtheft, der Professor warb überall warm für mich, der Rote-Kreuz-Mann genauso und das Fräulein auch. Außerdem ging damals besonders durch das bessere, kunst- und literaturinteressierte Bürgertum ein eigentümlicher Schwärm für Talente aus dem Volk. Nicht selten hielt man sich in den Salons sogenannte Renommier-Proletarier. Es war nicht recht einzusehen aus welchem Grund, ob aus uneingestandener Angst oder aus verkniffener Schläue. Nach und nach richtete ich mein Atelier wohnlicher ein. Der Holländer schenkte mir einige Möbelstücke und orientalische Behänge, und ich war täglich sein Gast. Da jede Aussicht zu Geld zu kommen, vorläufig gewichen war, schulte ich mich sozusagen zum Unterhalter des reichen Mannes heran. Darin entwickelte ich unzweifelhaft eine große Fertigkeit, denn bald war ich die beliebteste Figur in diesem gewitterigen Hausstand. Mit gut erlernter Naivität, die nie ihren Eindruck verfehlte, mit unanfechtbarer Abgebrühtheit begegnete ich jenen oft und oft aufsteigenden Reizzuständen, die einem Zank und Krach vorausgingen, und verscheuchte sie oft mit ein paar Worten. »Jaja, machen wir wieder Krach! ... Los, schlagen wir Skandal! Es passiert sowieso zuwenig!« sagte ich bei solchen Gelegenheiten meistens zu Marietta und dem Holländer und - ob sie wollten oder nicht - sie fingen zu lachen an. Die Gemütlichkeit war sogleich wiederhergestellt. Dadurch natürlich hatte man mich gern und immer lieber. Ich hegte auch schon einige leise Hoffnungen, die leicht zu erraten sind.
    Glück hatte ich auch noch wo anders. Vor kurzer Zeit war ich einmal bei einer Dame eingeladen gewesen, bei welcher mich der Professor sehr empfohlen hatte. Sie war bekannt als Gönnerin junger Dichter und Künstler, galt als sehr reich, hauste allein mit einem Dienstmädchen in einer merkwürdig großen, auserlesen geschmackvoll eingerichteten Wohnung und hielt auch so etwas wie einen schöngeistigen Salon. Der Revolution brachte sie gewissermaßen eine menschliche Sympathie entgegen, wenngleich ihr alles daran fremd war. Eine ausgesprochene Neigung hatte sie für neue Malerei und besaß sehr gesuchte moderne Bilder. Außerdem dichtete sie und hatte schon einige Bücher herausgebracht. Wir unterhielten uns gut und ich konnte öfters kommen. Die Dame interessierte sich für meine privaten Dinge und nahm überall regsten Anteil. Sie schien auch über meine unglücklichen Verhältnisse reichlich unterrichtet zu sein, und bald darauf gab sie mir unerwartet ein Stipendium von monatlich zweihundert Mark. Ich konnte nun für Selma und das Kind sorgen.
    Es war seltsam, dieser Gönnerin gegenüber hatte ich nicht soviel Scheu und war in vielen Dingen ganz offen. Das brachte uns einander näher. Sie nahm sogar eines Tages das Kind zu sich, bis meine Mutter es holte und für immer auf dem Lande draußen behielt. Jetzt bewegte ich mich schon wieder freier. Ich dichtete und lief in der Revolution herum. Es mußte was geschehen, viel mehr geschehen! Ich lechzte förmlich darnach.
    »Jung hat geschrieben. In Berlin geht's los! Liebknecht macht den Schwindel nicht mehr mit«, sagte einmal Schorsch zu mir. »Spartakuskämpfe kommen.«
    »Ach was, das ist dummes Zeug«, schimpfte ich und fing wieder mit meiner Idee vom allgemeinen Streik an. »Generalstreik, bis die Bürger und alle Gegenrevolutionäre zu Kreuz kriechen ... Dann muß ganz neu angefangen werden ... Terror ist Unsinn.« »Das ist doch auch Terror, Idiot!« brüllte Schorsch.
    »Ja, aber ohne Blutvergießen«, erwiderte ich. Komisch, bis jetzt war ich eigentlich immer nur überall mitgelaufen, schon dabei, aber doch als

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