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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Mithelfer sein. Indessen, die Zeit brachte mich schon wieder aus dem Geleise. Tausend Dinge passierten. Eisner kam von der Berner Sozialistenkonferenz und hielt eine seiner besten Reden, dann zog er an der Spitze eines mächtigen Demonstrationszuges durch die Stadt, um gegen die Lügen der Presse über sein Wirken in Bern Stellung zu nehmen. Die Wahlen waren vorüber, die Nationalversammlung in Weimar zusammengetreten, die provisorische Reichsverfassung angenommen und Ebert zum ersten Präsidenten der Deutschen Republik gewählt.
    Mein Zimmerherr, Pegu, Schorsch und ein uns bekannter Arbeiter kamen aufgeregt. Der Arbeiter erzählte, daß durch sämtliche Münchner Großbetriebe die warnende Losung gegangen sei, gegenrevolutionäre Matrosen aus Berlin kämen und planten einen Putsch und die gewaltsame Absetzung Eisners. Als Führer wurde der Matrose Lotter, ein Mitglied des bayrischen Nationalrates genannt, als Anstifter Auer und die Mehrheitssozialisten. Es brodelte schon wieder in mir. Gleich trieb es mich auf die Straße. In der Stadt herrschte eine eigentümliche aufgewühlte Ruhe, die erst recht nervös machte. Wir rannten ziemlich kopflos herum, wollten Mühsam aufsuchen, wollten die Spartakusgruppe aufmerksam machen. In der Stadt wurden Handzettel verteilt. »Landvogt, Deine Uhr ist abgelaufen!« lauteten sie. Vor dem Gewerkschaftshaus stand ein Menschenhaufen und redete murmelnd durcheinander. Es hieß, die Garnison München sei für Eisner und schlage alles nieder. Andere wieder erzählten, das Leibregiment und die Pioniere seien auf Seite der Putschisten. »Waffen! Waffen!« schrien einige. Auf einmal kamen etliche Spartakisten die Pestalozzistraße heruntergelaufen und warfen wild die Arme.
    »Bahnhof und Telegraphenamt sind schon besetzt von den Gegenrevolutionären!« hastete einer atemlos heraus. Vor dem Landtag sei ein Feuergefecht, erzählte ein anderer. »Auer ist der Verräter!« schrie ein Spartakist pathetisch und schwang die Faust, indem er noch mehr brüllte: »Zu den Waffen! Die Revolution ist in Gefahr!«
    »Ja, was denn! Wo denn?« fragte es erregt da und dort. Die Masse schob sich durcheinander, wir liefen mit einem Zug dem Sendlinger-Tor-Platz zu. Dort kamen uns andere Spartakisten entgegen und erzählten, daß schon alles vorbei sei. Wieder wilde und wirre Fragen, alles stockte, horchte.
    »Die Landtagswache hat in die Putschisten geschossen, und alle sind davongelaufen!« schrie einer, und ein hundertstimmiges »Bravo! Hoch!« antwortete ihm. »Die Schutztruppe hat den Bahnhof und das Telegraphenamt schon wieder gesäubert!« hörten wir abermals. »Bravo! Hoch! Nieder mit der Gegenrevolution!« erscholl es ringsum.
    »Haltet euch bereit!« brüllte der Redner, und langsam zerstreute sich der Zug.
    Ich war wütend und schimpfte meine Kameraden, weil sie mich wegen nichts und wieder nichts aus meiner Arbeit gerissen hatten. Und weil ich nun schon einmal auf dem Weg war, suchte ich den Holländer auf. Die Wohnung war schon geräumt. Packer und Dienstmädchen standen in den kahlen Räumen. Marietta kam und sagte: »Da, wenn du die Vorhänge und Teppiche brauchst, nimm sie mit.« Ich griff in den Haufen, untersuchte und schleppte drei große Packen nach Hause.
    »Laß dich bald sehen, wir sind schon in Nymphenburg«, meinte Marietta, ins Auto steigend. »Ja«, rief ich ihr gedankenlos nach und dachte nur an meinen neuen Besitz. Wunderbare Behänge und Teppiche, alles echt, alles türkisch! Mensch, flitzte mir durchs Hirn, du richtest dir eine Moschee ein! Alles wird mit Eisentüren vermacht und rausgegangen wird nicht mehr!
    Es war wirklich merkwürdig mit mir. Ständig schwankte ich zwischen diesem Wechsel: Entweder sich vor der Welt vergraben denn eigentlich hatte ich zu Zeiten fast so etwas wie Furcht vor ihr oder sich von ihr ins Ungefähre tragen lassen. Jedes Ereignis - ob's nun das Wildern des Hünen, die Idee für ein Gedicht, die auftauchende Reaktion, die verpfuschte Revolution oder die Teppiche waren - ergriff mich sofort derartig, daß ich es mit einer fast drolligen Vehemenz in mir zu verarbeiten suchte. Gleich entwarf ich Pläne, gleich baute ich aus, stellte die waghalsigsten Überlegungen an und machte Programme. Das blieb so von Jugend auf. Schon daheim überlegte ich oft und oft, wie ich mir verhaßte Menschen vernichten könnte, es gab da ganz genau zurechtgelegte Mordpläne auf meinen Bruder Max, auf den Briefboten oder auf diesen und jenen Bauern. Später richteten sich

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