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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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ist bloß konsequent! Die Spartakisten predigen andauernd die Eroberung der Macht durch Waffengewalt, aber wenn gegen sie wer kämpft und sie besiegt, heißen sie's Verbrechen! Wer Kampf will, kann sich doch nicht beklagen, daß der Gegner auch kämpft!« »Ja, du Rindvieh! Noske und Ebert geben sich doch noch immer als Sozialisten aus und schießen ihre eigenen Leute nieder ... Verstehst du denn nicht! Das ist doch das Gemeine!« wetterte Schorsch. Ich begriff blitzschnell und sagte nichts mehr.
    »Logik gibt's in Bayern anscheinend gar nicht«, spöttelte das Fräulein.
    Pegu kam jetzt mit einem Berliner Flüchtling daher. Der Mann gebärdete sich ziemlich geräuschvoll und redete noch verworrener daher. Er hatte einen Klumpfuß und humpelte immerfort herum. Er hatte keine Unterkunft, und ich überließ ihm meine kleine Kammer oben. Nach langem Diskutieren sagte Pegu lächelnd zu mir: »Schreib du deine Verse! ... Revolution liegt dir nicht.«
    »Tja«, meinte ich verdrießlich, »am besten wird's sein, ich reiht' mich wieder als Bürger ein.« Ich tat es auch so halbwegs. Alle Ereignisse schob ich gleichsam wieder beiseite. Immer größer wurde meine Liebe zum Fräulein. Jeden Tag kam es, wir unterhielten uns, kamen einander immer näher und waren sehr glücklich. Ab und zu durchstreifte ich völlig unbeteiligt die Stadt und suchte allerhand Wirtschaften auf. Beim Soller traf ich den Hünen wieder, der am 7. November mein Nebenmann gewesen war. Er erkannte mich sofort und hockte sich zu mir. »Mensch, was treibst denn du jetzt?« fragte ich ihn.
    »Ich? ... Ich bin jetzt mein Selbstversorger«, erwiderte er spitzfindig lächelnd. »Die Revolution ist auch nichts wie Schwindel ... Bloß für die Herren ... Gute Nacht, Proletarier.«
    »Selbstversorger? Wieso?« fragte ich. Er beugte sich näher an mein Ohr und lispelte: »Wildhandel treib' ich.«
    »So ... Ja, wie denn?« wollte ich wissen, und er erzählte mir halblaut, immer vorsichtig herumspähend, von seiner neuen Beschäftigung. Einen Karabiner hatte er sich verschafft, Munition dazu, ein Rad und einen Rucksack. »Jede Nacht geh' ich los ... Schad', daß jetzt das Radfahren nimmer geht ... Ist weit hinaus«, sagte er wieder so halblaut. In Freimann und in den umliegenden Wäldern wilderte er, weidete die Beute gleich aus, packte sie in den Rucksack und verkaufte sie in der Stadt.
    »Bis jetzt ist mir noch kein einziger Jäger untergekommen und wenn - der ist gleich weg ... Damisch bin ich und leid' Hunger, solang's Wild gibt ... Die Herren da im Landtag haben den Staat genommen, ich sag' bloß: Rehbock, du
    gehörst mir, basta«, rechtfertigte er sich, und mir leuchtete das sofort ein.
    »Dir trau' ich, Kolleg', du bist nicht falsch ... Magst mitmachen?« fragte er treuherzig. Ich nickte und versprach, einmal zu kommen. Dieses Räuberleben reizte mich ungemein. Meine ganze Jugend tauchte in meinen Gedanken wieder auf. Ich malte mir die romantischsten Abenteuer aus. Wie einfach, gestand ich mir auf dem Heimweg in einem fort, wie einfach man zu Verdienst kommen kann. Sehr schön, wunderschön! Hunderte und Tausende standen hungrig auf der Straße, denen wollte ich auf der Stelle diesen guten Wink geben. Das war doch gewiß eine praktische sozialistische Tat. Einigen Arbeitern konnte ich auch alles so überzeugend darlegen, daß sie wirklich zu wildern anfingen.
    »Der Anarchist« hieß ich überall. »Selbsthilfe« war meine neue Lehre. So begeistert war ich, daß ich sofort wieder einmal ein Programm auszuarbeiten begann, das ich vervielfältigen und geheim unter den Arbeitslosen verbreiten wollte. Sonderbarerweise sagte ich keinem meiner Bekannten etwas von meinem Plan.
    Eine mir selber rätselhafte Findigkeit entwickelte ich in der Ausheckung meiner Leitsätze. »Die Revolution stellte Deine Not nicht ab, Kamerad, darum befolge diese kurzen, wirklich praktischen Ratschläge eines Wohlmeinenden«, fing mein beabsichtigter Flugzettel an, und dann skizzierte ich in einigen Nächten den Aufbau meines Programms folgendermaßen: Organisierung von Wildererbanden, Regelung des Verkaufs der Beute durch kameradschaftliches Zusammenwirken aller Berufe, Aushebung von Unterständen in den Waldgegenden als Unterkunft für die Wilderer, Geheimzeichen unter den »Selbstversorgerverbänden« und endlich Verwertung der Reh- und Hirschhäute. Ich wollte mich mit dem Hünen in Verbindung setzen.
    Er sollte die Hauptleitung aller Verbände übernehmen, ich wollte der geistige

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