Wir sind Gefangene
energisch derartige diktatorische Druckmittel der Straße und drohte wie ein berserkerischer Schullehrer mit dem ausgestreckten Zeigefinger. Wenn er sich nicht geschworen hätte, in München keine Berliner Zustände aufkommen zu lassen, ergriffe er andere Maßregeln, und ein anderes Mal lasse er schießen, ließ er verlauten. Toller stand bleich und verstört hinter ihm und bewegte die Arme. Ein ohrenbetäubender schimpfender Lärm erhob sich, das dumpfe Rollen von Lastautos dröhnte, im Eilschritt zogen wir ab. Ich ging mit bis zum Marienplatz, die Menge zog nach Stadelheim und holte die Verhafteten heraus. Schorsch traf ich. Der war durch die Promenadestraße abgebogen, um heimzugehen. Plötzlich hatte es aus der Hypotheken- und WechselBank geschossen. Eine Maschinengewehrsalve war es gewesen. Niemand wußte etwas Näheres. Ein Arbeiter lief uns mit aufgeregtem Gesicht entgegen.
»Die Kasernen haben verstärkte Bereitschaft! Am Bahnhof sind Maschinengewehre aufgestellt«, erzählte er hastig. »Man kennt sich nicht mehr aus! ... Grad ist's, wie wenn der Eisner auch ein
Gegenrevolutionär war' ...«
Es war schon Abend, als wir zum Stachus kamen. Haufenweise liefen Leute in die Prielmayer- und Schützenstraße, dem Bahnhof zu. Jäh krachte von dorther eine Salve, und die Vorwärtsrennenden jagten schreiend zurück, und im Nu war der ganze Platz dicht voll Menschen, die erregt durcheinanderredeten, schimpften, schrien und jammerten. Die Schützen hatten in die Menge geschossen, 6 Tote und 15 Verwundete waren am Platze geblieben.
»Los! Nicht davonlaufen! Sturm machen auf den Bahnhof!« rief ein Matrose und brachte die Zurückflutenden zum Stocken. Aber schon rasselten durch das Karlstor und vom Promenadeplatz her Lastautos mit Soldaten. Ohnmächtig betroffen hoben alle die Gesichter, dann flohen die Zusammengeströmten kopflos. Erst am Sendlinger-TorPlatz sammelte sich wieder ein Zug und marschierte durch die Müllerstraße. Ich hatte Schorsch verloren, lief hin, lief her, kreuz und quer durch die Stadt und landete todmüde auf meinem Atelier. Am andern Tag gegen Mittag kam Schorsch und brachte mir das Ergebnis der Landtagswahlen.
»Heut' soll ein Putsch sein... Der Landtag wird gestürmt«, erzählte er.
»Zweiundfünfzig Mehrheitssozialdemokraten, achtunddreißig Demokraten, einunddreißig Zentrumsleute und bloß vier Unabhängige«, las ich aus der Zeitung und setzte bedrückt hinzu: »Grausam! ... Jetzt ist alles verloren ... Der Putsch gibt nichts als Leichen ... Siegen tun wir nicht.«
Es klopfte. Pegu kam. Einige Augenblicke schwiegen wir einander an.
»Das geht trotzdem alles zum Teufel«, sagte Pegu nach einer Weile. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Schorsch nickte.
»Ich bin ganz dumm im Kopf«, brummte er verdrossen: »Ich will nichts mehr sehen und hören ... Es ist zum Verzweifeln ... Eigentlich sollten heute in der ganzen Stadt Trauerglocken läuten ...«
Wir tranken Tee und gingen bedrückt auseinander. Ich ging nicht mehr aus dem Atelier. Mit aller Gewalt wollte ich mich verkriechen. Das war ein wahrhaftiges Martyrium. Die Stunden schienen nicht zu verlaufen. Unruhe und Neugier quälten mich. Dann wieder, wenn ich über alles nachdachte, packte mich die Wut, und ich überlegte die merkwürdigsten Attentatspläne. In aller Frühe klopften mich Schorsch und das Fräulein aus dem Schlaf und brachten die Nachricht von der Ermordung Liebknechts und Rosa Luxemburgs. »Jaja, jaja, jetzt kommt dann der Eisner, der Mühsam, der Gandorfer, der Levien und der Toller und der Leviné und so geht's weiter ... Paß nur auf! ... Und dann fangen sie langsam mit den Kleinen an ... Es ist direkt wunderbar, wie die Leute arbeiten. Die wissen genau, was sie wollen«, räsonierte ich bissig, »aber uns wird's doch nie einfallen, die Herren auch so nacheinander wegzuräumen. Wir haben ja Charakter! Wir sind ja ethisch! Ach, wir sind ja so anständige Menschen!«
»Du Depp, du hast doch selber immer gegen den Terror gewettert!« warf mir Schorsch an den Kopf. »Ja damals! Jetzt ist das ganz anders! ... Es kommt keiner als Revolutionär zur Welt! Bei dem einen geht's schneller, bei dem anderen langsamer«, verteidigte ich mich.
Das Fräulein mußte lachen über unser wirres, hitziges Disputieren. Ich nahm die Zeitungen und durchflog sie.
»Idioten!« rief ich beim Durchlesen der empörten Artikel über Liebknechts und Rosa Luxemburgs Ermordung. »Da schreien sie jetzt von Bluthunden und Mördern! ...
Noske
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