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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Heinrich vom Mathäser !« spöttelten sie und erzählten, daß sie eine zehntägige Arbeitspause machen müßten, weil kein Betrieb mit Kohlen beliefert werden könnte. »Und kriegen den Lohn voll ausbezahlt, weil's die Regierung angeordnet hat«, sagten sie freudestrahlend, »jetzt hat man Zeit zum Politisieren.«
    Der Kampf um die Landtags- und Nationalversammlungswahlen war entbrannt. Alle Größen der parlamentarischen Parteien hielten ihre Agitationsreden. Stürmische Versammlungen folgten einander. Flugblätter übersäten die Straßen, grelle Plakate schrien von Wänden und Litfaßsäulen herunter. Mit aller Hartnäckigkeit trieben die Spartakisten ihre Gegenbewegung, verkündeten fanatisch Wahlenthaltung und machten Demonstra-
    Es gärte an allen Ecken und Enden. In. Berlin hatte die Beschießung der sogenannten Volksmarinedivision seitens der Regierungstruppen den Auftakt zu den großen Spartakuskämpfen gegeben. Abermals wurden die Zeitungsbetriebe besetzt, Riesenkundgebungen für die Division und gegen die Regierung der Volksbeauftragten durchwogten alle Städte, und nach einer ganz kurzen Krise traten die drei Unabhängigen Barth, Haase und Dittmann zurück. Noske, Wissel und Löbe gesellten sich zu Ebert, Scheidemann und Landsberg.
    Verschwörerisch ging es in München zu. Immer mehr und immer mehr flüchtige Spartakisten aus Berlin kamen an, stellten sich mit Mühsam, Levien und Levine vor die Massen und schrien ihre Bannflüche in die stickig-vollen Säle. Ein Anschlag, unterzeichnet von fast allen derzeitigen bayrischen Ministern, rief zur Bildung einer »Bürger-Wehr« auf. Eisners Name war ohne dessen Einverständnis daruntergesetzt worden. Einen ungeheuren Skandal gab es im provisorischen Nationalrat, aber schier über Nacht entstand die besagte Wehr. Alle republik- und revolutionsfeindlichen Elemente sammelten sich darin, besonders Studenten und beschäftigungslose Offiziere. Die mehrheitssozialdemokratischen Minister Auer und Timm erwiesen sich als hauptsächlichste Förderer. Auf Mühsam gab ein Unbekannter am zweiten Weihnachsfeiertag fünf Schüsse aus der Dunkelheit ab. Die ersten antisemitischen Flugblätter tauchten auf. Meistens sah man sie in kleinen Milch- und Gemüseläden oder auch heimlich an die Wände geklebt. Moritatenähnliche Legenden über Eisners Herkunft und seinen vermeintlichen Reichtum verbreiteten sich.
    Anfangs Januar erfuhr man von den Aufständen in Bremen. Jakob Knief, ein Mann von großer Tatkraft, wirklicher Kühnheit und umfassendem Wissen, der damals im Januar Anno 1918 gleicherzeit mit uns in München verhaftet worden war, leitete sie. In Berlin tobte offener Krieg. Grausige Nachrichten liefen ein: Kanonen donnerten auf den Straßen, Flammenwerfer arbeiteten, Maschinengewehre knatterten. Noske hatte den Belagerungszustand verhängt, den Polizeipräsidenten Eichhorn entsetzt, die Zeitungen wieder zurückerobert, Ledebour und Meyer verhaftet und gegen Liebknecht und Rosa Luxemburg Steckbriefe und Prämien erlassen.
    Jetzt flammte München auf. »Nieder mit der Blutregierung Ebert-Scheidemann-Noske!« durchgellte jeden Tag. Ernst Toller sandte ein Telegramm an die Berliner Regierung: »Scheidemann, Ebert, Noske, Mitglieder der Regierung Berlin. - Sie müssen erkennen, daß Sie seit Tagen an jedem Tropfen Blut, der noch vergossen wird, schuldig sind. Wenn das deutsche Volk selbst einen Ludendorff nicht zur Verantwortung zieht, Sie wird es vor ein Volksgericht stellen, und kein bewußter deutscher Arbeiter wird sich finden, der nicht sein dreimal schuldig spricht. Daß Sie keine Sozialisten sind, wir wußten es längst. Aber wir wissen nicht mehr, ob Mütter Sie geboren haben.« Immer wildere Züge bevölkerten die Straßen. Einmal kam ich über den Lenbachplatz und sah ein dichtes Menschengemenge hastigen Schrittes lärmend in den Promenadeplatz einbiegen. »Was ist's denn?« fragte ich mitlaufend.
    »Eisner hat Mühsam, Levien und noch zehn Genossen nach Stadelheim bringen lassen«, erfuhr ich. Schon waren wir vor dem Ministerium. Hin und her drängte sich alles. Hinter dem verschlossenen Tor, hieß es, stünden schußbereite Maschinengewehrschützen. Man ratschlagte einige Minuten. Auf einmal kletterte ein Matrose auf dem Kandelaber zum Balkon empor, schwang sich drüber und verschwand unter lautem Jubel in der Tür. Kurz darauf erschien er mit Eisner, der furchterregt auf uns herunterschrie: »So holt sie euch, in Gottes Namen! Sie sind enthaftet!« Er verbat sich

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