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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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militaristische, kapitalistische Joch beugen! Jetzt gilt es handeln, die Revolution zu retten! Auf zum Generalstreik! Heraus aus den Betrieben! Nieder mit der Bourgeoisie und ihren verbrecherischen Helfershelfern! Hoch die sozialistische Revolution!
    Unabhängige Sozialdemokratische Partei
    Schröder, Kämpfer, Weiß, Paula Mayer, Fechenbach.«

    Fast gierig las man's. Ich sah Zitternde, ich sah Wutblasse und Blutgierige. Überall wiederholte sich das gleiche Schreien nach Rache. Die Massen kamen ins Treiben, der Strom floß durch die Stadt. Das war anders, ganz anders als am 7. November. Wenn jetzt einer aufgestanden wäre und hätte gerufen: »Schlachtet die Bürger! Zündet die Stadt an! Vernichtet alles!« es würde geschehen sein. Die tausend kleinen Stürme hatten sich vereinigt, und ein einziger dumpfer, dunkler, Ungewisser Losbruch begann. Ich spürte es an mir am genauesten: Noch nie war ich so völlig Massentrieb gewesen wie jetzt, noch nie war ich so eins mit den Tausenden.
    Auf die Theresienwiese jagten die Züge. Unter der Bavaria redeten viele; Toller trug ein Gedicht vor. Die Frauen wurden ergriffen davon, die Männer schrien nach Waffen. Dann wurde verkündet, im Zeughaus seien sie. Ein dichter Haufen zog dahin ab, ich lief mit dem Zug wieder in die Stadt. Voran marschierten Matrosen und Soldaten wie zum Sturm. Die roten Fahnen wehten. Die verschlossenen Türen des Deutschen Theaters wurden eingeschlagen, die Scheiben klirrten, es krachte, und alles peitschte in den Saal.
    »Der Arbeiter- und Soldatenrat tagt von heut' ab in Permanenz!« brüllte ein Matrose. Zuerst war es ein unbeschreibliches Durcheinandertrampeln, ein wirres Schreien und kommandomäßige Rufe, dann ordnete sich der Trubel nach und nach. Die Räte hatten sich zusammengefunden, die Leute setzten sich, hinten stand alles, und die Galerien füllten sich derart, daß sie jeden Augenblick herunterzubrechen drohten. Ich war so eingekeilt zwischen Körper, daß ich nichts sah als Rücken, Nacken und Haare, Mützen und Hüte. Ab und zu hörte man wen reden, dann wieder Beifallrufe und eine dumpfe Bewegung rundum. Ich drückte mich hinaus. »Gegen die Zeitungen!« rief ich einigen zu, und die wanden sich ebenfalls mit mir ins Freie.
    »Mensch, Strobel!« schrie ich, als ich mich im Trupp, der mir gefolgt war, umsah. Der Kamerad vom Bund freier Menschen war's. »Die red'n schon wieder und machen nichts!« brummte der. Wir liefen die Bayerstraße lang und sahen schon von weitem Rauchsäulen und aufschlagende Flammen.
    »Endlich brennt die Pestbude!« sagte ein Arbeiter neben mir. Strobel war schon wieder im Gewühl verschwunden. Ankommend sahen wir einen Flammenberg auf der Straße, um welchen lärmende Menschen förmlich tanzten. Man hatte die herausgekommene Auflage der Münchner Zeitung herausgeschleppt und angezündet. Vor den Eingängen postierte schon republikanische Schutzwehr. In der Paul-Heyse-Straße, über dem Tor der München-Augsburger Abendzeitung , war ein großes Papierplakat angebracht: »Vom Arbeiterrat besetzt.« Ich ging durch die Postenkette.
    »Halt, was wollen Sie? Raus da!« hielt mich ein Soldat an.
    »Mensch, Genosse, red' doch nicht mit deinem >Sie< daher ... Ich muß da hinein, ich möcht' zum Ehrhardt!« rief ich. Er ließ mich ohne weiteres durch. Ich wollte gar nichts, nur mich freuen, daß dieses Blatt jetzt auch abgetakelt war. Ich ging über die Treppen hinauf, in den Redaktionsvorraum. Es war kein Fräulein mehr da wie früher, als ich täglich meine Buchrezensionen einlieferte. Auf der Tür zur Hauptschriftleitung stand »Sitzungszimmer des A.-und S.-Rates, Zutritt verboten«. Ein früherer Redakteur kam daher und wurde gleich freundlich.
    »Ah, Herr Graf, wollen Sie zum Arbeiterrat?«
    »Nein-nein«, lächelte ich boshaft, »es freut mich bloß, daß alles jetzt uns gehört.«
    Der Mann machte ein peinliches Gesicht und versuchte zu lächeln: »Hm, wissen Sie, wir waren ja auch bloß Angestellte ...«
    »Jaja, bezahlt, bezahlt zum Lügen«, warf ich boshaft hin und ging in den Raum des Arbeiterrates. Da waren mehrere mir bekannte Genossen. Einige schrieben, andere liefen aus und ein mit Blättern in der Hand. »Ah, Servus, Graf«, rief Ehrhardt, und ich grüßte ebenso. »Braucht ihr mich? ... Ich kann was schreiben«, sagte ich.
    »Nein, vorläufig nicht ... Da werden bloß Flugblätter für auswärts gedruckt«, klärte mich Ehrhardt auf. Ich gab ihm meine Adresse und ging.
    »Kamerad«, sagte ich drunten

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