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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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zum Posten, »laß nicht jeden durch ... Bei mir hast du's ja nicht weiter falsch gemacht, aber paß auf, da kann sich sonst alles einschleichen.« Der Mann musterte mich feindlich und knurrte mir nach.
    Die Straßen waren voll. Die Betriebe lagen still, der Generalstreik hatte begonnen. Über den Häusern knatterten Flugzeuge, machten kühne Schleifen und Stürze und warfen Flugblätter ab, die den Belagerungszustand ankündigten. Abends um sieben Uhr sollten die Straßen leer sein. Ich beeilte mich, in die Stadt zu kommen. Am Stachus stieß ich auf eine Rottung, in deren Mitte ein Redner erzählte, im Deutschen Theater sei die Räterepublik ausgerufen worden. »Wer raubt, stiehlt, plündert oder etwas gegen die jetzige Regierungsgewalt unternimmt, wird erschossen«, warnte ein Anschlag. Ein anderer verbot alle Lustbarkeiten und kündigte den Landestrauertag an. Ruhelos liefen die Menschen herum, immer wieder sammelten sie sich, jedesmal stieg ein neues Gerücht auf. Die Redaktionen der Münchner Neuesten Nachrichten , des Bayrischen Kuriers , des Münchner Tageblatts , der Bayrischen Staatszeitung und der mehrheitssozialdemokratischen Post waren von Mitgliedern des Zentralrates besetzt und erschienen nicht. Nur die unabhängige Neue Zeitung gab es. Sie wurde den Verkäufern förmlich aus der Hand gerissen. Eisners Leiche, hieß es, sei bereits im Ostfriedhof aufgebahrt. Fast in allen großen Sälen der Stadt waren Versammlungen zur Feier des Ermordeten. Als ich wieder in die Promenadestraße kam, lehnte an der Gewehrpyramide ein mit Trauerflor umrahmtes Bild Eisners, und ein Berg von Blumen und Kränzen lag drum herum. Kalt war es, dunkel wurde es. Ich hatte Hunger und Durst und war müde. Als ich zu Hause ankam, traf ich meinen Zimmerherrn, der gewichtig erzählte, es seien Geiseln festgenommen worden. Er humpelte aufgeregt auf und ab und sagte in einem fort: »Jetzt müssen wir uns ranhalten! ... Bloß in München ist noch was zu machen mit der revolutionären Bewegung. Draußen steht die Weiße Garde, herinnen konspirieren die Konterrevolutionäre ... Wenn nicht sofort alle Proleten bewaffnet werden, sind wir verratzt ... Die Studenten auf der Universität haben alle >Bravo!< gebrüllt, als Eisners Ermordung bekannt wurde ... Zustand von Revolution! ... Na, die Kotzbude ist schon geschlossen ... Alle werden zusammengefangen ... Es müssen übrigens sofort Guillotinen arbeiten.«
    Er redete daher wie der höchste Mann im Staat. Während er so hin und her humpelte, musterte ich ihn unvermerkt. Unwillkürlich ging mir durch den Kopf: Genau wie er ist die ganze deutsche Revolution. Sie hat auch einen Klumpfuß und hinkt. Ich mußte auf einmal laut auflachen und rief: »Du bist ein Symbol, Mensch! Du bist ein echtes Symbol!« Er drehte seinen dicken Kopf rasch nach mir, hielt einen Augenblick inne und sagte kurz: »Quatsch nicht, Mensch! Mach' keine Witze jetzt!«
    Er kam vom Landtag. Dort war die Gründung eines revolutionären Künstlerrates beschlossen worden, den er vorgeschlagen hatte. »Der entwirft wohl die neuen Guillotinen?« fragte ich boshaft. Er überhörte mich und rief noch lauter: »Du mußt unbedingt mitmachen! Wir nehmen Presse, Theater, die Kinos, die Universitäten, die Kirchen und Akademien in die Hand.« »Wer regiert denn eigentlich?« wollte ich wissen.
    »Der Zentralrat! Das mit der Regierung ist nur eine Beruhigungspille ... Elfmännerausschuß hat die Macht... Unser Künstlerrat untersteht überhaupt niemandem ... Wir können machen, was wir wollen«, klärte er mich auf. Er hielt sofort eine Rede über die wahre Diktatur, und ich wurde allmählich ärgerlich über das Geschwätz.
    »Zeig' mir deine Hände, Mann!« sagte ich auf einmal drohend und erfaßte seine fleischigen, kurzen Finger. »Du hast nie eine Schaufel in der Hand gehabt, bist nie in der Fabrik gewesen! ... Haben dich vielleicht die Arbeiter geholt? ... Geht's ohne dich nicht? ... Die Guillotinen gehören wohl für Leute wie dich!?«
    Er wurde sichtlich bestürzt, fing dann wüst zu poltern an, nannte mich einen Gegenrevolutionär und drohte spaßhaft : »Wenn du nicht ein großer Dichter wärst, würde ich dich auf der Stelle denunzieren ... Gib acht, daß ich dich nicht an die Wand stellen lasse!«
    » Du ?!« lachte ich geringschätzig heraus. » Du ?! O je, o je!« Und gleich wurde ich wieder gehässig: »Jaja, das ist ja auch das leichteste an Arbeit, zu denunzieren und an die Wand stellen lassen.« »Nein, Spaß

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