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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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diese ausgeklügelten Absichten auf den Meister oder auch auf eine politische Persönlichkeit. Es war doch auch meistens so: War der Träger einer feindlichen Sache weg, fiel diese Sache selber zusammen. Brachte ich Max um, gab es keine Prügel mehr; räumte ich den Briefträger weg, verklatschte mich niemand mehr; wenn keine Bauern mehr waren, konnte man in ihren Gärten und auf ihren Feldern machen, was man wollte; hörte der Meister auf, war es mit dem Schinden zu Ende; und endlich, schoß ich Ludendorff nieder, so mußte der Krieg aufhören; knallte man die Reaktionäre nacheinander weg, war die
    Reaktion erledigt. Nichts einfacher als diese Einsicht.
    So hitzig konnte ich mich in meine Plane versenken, daß ich manchmal wirklich schon meinte, ich stünde mitten im Ausführen. Alle Widerstände schienen mir lächerlich, alle Bedenken wichen, und was nach einer solchen Tat kommen sollte, beschäftigte mich nicht weiter. Stunden, ja Tage und ganze Wochen frönte ich einem solch eigentümlich-scharfen Nachdenken. Plötzlich aber schob sich irgend etwas anderes in meine arbeitenden Gedanken, ein Eindruck, ein gelesenes Buch, ein Erlebnis, ein Ärger, und rätselhaft schnell verflogen die eben noch gefaßten Entschlüsse, alles ging wieder von vorne an. Ich kam mir hin und wieder buchstäblich vor wie der selige Tartarin von Tarascon. Unablässig stand ich im abenteuerlichsten Hinundherwogen der Geschehnisse, die kleinsten Dinge wurden groß und unheimlich, aufregend, romantisch und gewaltig, im nächsten Augenblick aber schon wieder lächerlich und sinnlos, dumm und langweilig
    Ja, eine Moschee! Sich verkriechen in einer Moschee! Eine fabelhafte Bleibe in einem unansehnlichen Haus! Das war mein neuer Antrieb. Die Selbstversorgerverbände waren vergessen. Mit wahrem Fanatismus fing ich an, mich einzurichten. Nichts, gar nichts mehr interessierte mich. Bloß - leider wühlte rundherum der Sturm.

XXII
DIE REBELLION

    Nämlich eines Morgens - ich wollte mir gerade Drahtstifte kaufen - lief wie ein Lauffeuer in alle Winkel und Ecken der aufgepeitschten Stadt: »Kurt Eisner ermordet! Minister Auer schwer verwundet, Zentrumsabgeordneter Osel tot, Major Jareis angeschossen! Schießerei und Panik im Landtag!«
    Man schrieb den 21. Februar. Der Landtag sollte heute eröffnet werden. Es war klarkalt. Ich rannte, so wie ich war, ohne Hut und Mantel weiter. Alles in mir war durcheinandergewühlt.
    Die Glocken von allen Türmen fingen zu läuten an, die Trambahnen hörten mit einem Male auf zu fahren, da und dort stieß jemand eine rote Fahne mit Trauerflor zum Fenster heraus, und eine schwere, Ungewisse Stille brach an. Alle Menschen liefen mit verstörten Gesichtern stadteinwärts. Je weiter ich kam, desto aufgeregter wurde die dumpfe Hast. Vor dem Landtag ballte sich ein schwarzer Menschenknäuel, Soldaten und bewaffnete Zivilisten waren darunter. Ich stürmte weiter in die Promenadestraße, an den Mordplatz. Da hatten sich Hunderte schweigend um die mit Sägespäne bedeckten Blutspuren Eisners zu einem Kreis gestaut. Fast niemand sagte ein lautes Wort, Frauen weinten leis und auch Männer. Etliche Soldaten traten in die Mitte und errichteten eine Gewehrpyramide. Dem einen rannen dicke Tränen über die braunen Backen herunter. »Unser Eisner! Unser einziger Eisner!« klagte eine Frau laut auf, und jetzt wurde das Weinen vernehmbarer. Viele legten Blumen auf den Platz, immer mehr und immer mehr. Plötzlich fuhr vorne am Promenadeplatz ein vollbesetztes Lastauto mit dichten Fahnen und Maschinengewehren vorüber, und laut schrie es herunter: »Rache für Eisner!« Furchtbar wie ein Sturmsignal klang es und furchtbar, wie ein gellender, verzweifelter Aufschrei brach es aus den Hunderten: »Rache! Rache für Eisner!« Mir lief es kalt über den Rücken. Ich ging weiter.
    Der Promenadeplatz war dicht übersät von Menschen, immer wieder dröhnten Lastautos daher, und jetzt fielen die ersten Flugblätter herunter:
    »Arbeiter und Soldaten! Die Gegenrevolution hat zum ersten großen Schlage ausgeholt, indem sie den gehaßtesten Führer der sozialistischen Revolution niederstreckte! Die Bürgerwehr, die Weiße Garde, der Mittwochputsch, das sind die Etappen zur Erwürgung der sozialistischen Revolution!
    Ihren Ausdruck fand das Wühlen in der verleumderischen Hetze einer feilen Presse, die, heuchlerisch Ruhe und Ordnung predigend, die Atmosphäre für den Meuchelmord schuf.
    Arbeiter und Soldaten! Man will euch wieder unter das alte

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