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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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es nicht mehr eilig, zündete sich eine Zigarette an und wollte sich mit mir unterhalten.
»Säufst du noch immer noch ?« fragte er.
»Ja, selbstredend«, gab ich zurück und stand auf.
»Willst du schon wieder fort? «
»Was soll ich denn da?« ... Sag' Pegu, ich bin auf dem Atelier, er soll kommen«, erwiderte ich kurz und gab keine Antwort auf sein Gespötte.
Auf der Straße traf ich Schorsch.
    »He! He! Graf! Schorsch! Da herein!« schrie es aus einem vorbeisausenden und kurz darauf anhaltenden Auto. Die Nymphenburger waren es. Wir stiegen ein und lunchten mit ihnen bei Böttner . Ausgehungert und abgehetzt war mein Freund. Er schlang alles mit gieriger Hast hinunter und trank gurgelnd. Wir erhoben uns und gingen in den Abort hinaus.
    »Friß nur! Mensch, friß und sauf, soviel du kannst! Wir hängen sowieso schon halb am Galgen«, raunte ich Schorsch zu, und der nickte mit glasigen Augen. Er fuhr mit hinaus in die Villa. Auf dem Weg lasen wir auch noch Achenbach auf. Es wurde ein grausiges Gelage. Viehisch tobten wir herum. Plötzlich fing Schorsch zerrüttet zu weinen an.
    »Ma–a-aria! Ma-aaria!« heulte er zerrissen heraus und rannte wie von Sinnen zur Haustür, riß sie auf und lief in die sternhelle Nacht. Er stolperte und fiel in einen frischen Graben. Er blieb liegen und jammerte immerfort wie eine zerknirschte Kreatur auf: »Ma-a-aria! Ma-a-aria!« Er erbrach sich und griff hilflos im Kot herum. Achenbach und ich waren ihm nachgelaufen und zogen ihn heraus. Wir schleppten ihn hinauf ins Bett. Hin fiel er und fing sofort tiefschlafend zu röcheln an wie ein sterbendes Tier.
    »Er kann nicht allein sein! Seine Maria geht ihm ab«, murmelte ich Achenbach zu.
    »Jaja, den Komplex haben wir alle ... Wir können alle nicht allein sein«, meinte dieser superklug.
    Jäh war die Zecherei abgebrochen und hatte eine widerwärtige Stimmung aufgerissen. Marietta ärgerte sich und schimpfte auf uns alle, der Holländer brummte mißgestimmt, und alles ging einsilbig schlafen. Am andern Tag beim Frühstück war unser Freund wie gewöhnlich. Nur seine Hosen hatte er sich zerrissen und zog neue vom Holländer an. Nach dem Mittagessen wanderten wir zu dritt in die Stadt.
    »Da! Horch! Horcht's!« rief ich wie aufgescheucht, als wir den Holländergarten verließen. Alle drei hoben wir die Köpfe. Taggg-daragg-daggg! kam's von fern herüber.
    »Da ist was los!« hastete Schorsch heraus und wir fingen zu laufen an.
    »Putsch! Barrikaden!« keuchte Achenbach. Vom Bahnhof herüber kamen Schüsse, dann wieder Maschinengewehrsalven und schließlich Kanonendonner. Wir rannten, was wir konnten, die Nymphenburger Straße hinunter auf den Stiglmairplatz zu. Vor dem Löwenbräukeller war ein Geraufe und Geschrei. Das Schießen war jetzt ganz nah und ungewöhnlich heftig. Immer mehr und immer mehr Leute stürmten die Dachauer Straße hinunter.
    »Was ist's denn? ... Was? Putsch?« fragte ich einen dahinrennenden Arbeiter.
    »Ja! Die Hoffmann-Regierung und die Mehrheitler!« flog abgehackt zurück. Weg war der Mann. In der Luft knatterten Flugzeuge und spieen weiße Blätterwolken. Dahin, dorthin rannten Menschenrotten und haschten nach den herabfallenden Flugblättern, balgten sich um sie, lasen und fingen wild zu schimpfen und zu fluchen an. Rotarmisten und Soldaten legten an und feuerten nach den Fliegern, schossen, schossen. Das Trommelfell drohte einem zu zerspringen. »Schneppenhorst-Lügen! Mehrheitssozialistische Verräterei!« hörte ich, »Weitergehen! Zum Kampf! Zum Bahnhof!« Endlich bekam ich einen Mann zu fassen, der ein Flugblatt hatte, las hastig: »An die werktätige Bevölkerung Münchens! Arbeiter und Soldaten!« Erschnappte noch »der Zentralrat für abgesetzt erklärt«, fing noch auf »landfremde Agitatoren, die nur eine eigennützige Politik verfolgen«, dann zerriß der Mann das Blatt. »Die Schufte! Die Hunde!« knurrte er. Ich pfiff, aber kein Gegensignal kam. Das Schießen und Krachen, das Lärmen und Rennen übertönte alles. In der Luft blinkten, über die Köpfe hinweg, unablässig kleine Funken aus den Gewehrläufen und lösten sich in Rauchwölkchen auf. Ich schob mich mit aller Mühe vorwärts, stieß um mich, lief wieder etliche Schritte und gelangte bis an den Rand des Bahnhofplatzes. Der sah aus wie eine immerfort sich ablösende Ebbe und Flut. Von der Prielmayer-, von der Schützen-, Schiller- und Bayerstraße heraus liefen bewaffnete Massen andauernd Sturm gegen den feuerspeienden Hauptbahnhof,

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