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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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eine Rede. Es sah drollig aus, der Mann mit der napoleonischen Geste, dahinter die geruhige Gestalt des Dichters. Sofortige Beschlagnahme aller Bankgelder, Öffnung der Safes, Todesurteile für Widersacher der revolutionären Sache und dergleichen mehr wurde gefordert. Mich fiel unwillkürlich das Gelächter an. Ich ging weiter. An der Türkenstraße stieß ich auf einen verhutzelten alten Mann, der auffallend aufmerksam und spöttisch auf die zusammengerotteten Menschen sah.
    »Oh, Verzeihung!« hastete ich etwas förmlich heraus und blieb stehen vor ihm. Er lugte mir bohrend in die Augen und lächelte: »Schad' nichts, Herr Nachbar! ... Ich bin scho öfters auf die Fiß 'treta word'n!« Er lächelte noch mehr und deutete mit dem ausgestreckten Spazierstock auf die vielen Menschen: »Dia?! ... Dia werd'n all' no katholisch! ... Werra Sie seha!«
    »Wieso denn?« fragte ich erstaunt. Der Mann ließ seinen Stock sinken und blinzelte abermals listig auf mich. »Ja no, ich will nichts g'sagt haba! Noi! Noi! ... Ich sag' gar nichts!« schwäbelte er wiederum hastig heraus und trottete eilsam weiter. Glucksend hörte ich ihn in sich hineinlachen. Einen Augenblick überlegte ich, ob ich ihn nicht verfolgen und um Aufklärung anhalten sollte, ließ es aber doch sein. Einer von den Sonderlingen, dachte ich und gab mich damit zufrieden. Vorne, vom Platz weg, wälzte sich jetzt der Menschenhaufen und zog mit Levien zum Landtag.
    Ich suchte mein Atelier auf, setzte mich an die Schreibmaschine und schrieb einen langen Brief an das Fräulein. Immer und immer wieder, während ich Satz um Satz hintippte, stieß mir in den Sinn, er wird vielleicht gar nicht ankommen, es ist ganz zwecklos, daß du schreibst, aber ich machte weiter. Eine eigentümliche Sehnsucht, eine weltschmerzliche Bedrückung trieb mich an.
    »Ich weiß nicht, was ich bin und wohin ich gehöre«, schrieb ich, »aber es kommt mir doch manchmal vor, als wenn die anderen auch nicht recht viel anders wären als ich. Komisch, wenn ich die norddeutschen Zeitungen lese, möchte ich immer heimlich hinfahren und diese Artikelschreiber erschießen, zuerst den, der die Redakteure bezahlt, dann die Redakteure selber. >Bürgerkrieg in München< schreiben sie und >Gewissenlose Hetzer treiben mit einer fanatisierten Minderheit einen unerhörten Terror<; in Wirklichkeit ist bloß in allen eine ewige Ungeduld nach Frieden. Ich weiß nicht, was das für ein fürchterlich schleimiges Höllen Werkzeug ist, die Presse! Im Krieg haben sie gelogen, und als die Revolution gekommen ist, sind sie dahergekommen und haben alle geschrieben, wir haben ja müssen, wir sind ja dazu gezwungen worden und jetzt? Jetzt lügen sie wieder genauso. Ich möchte bloß wissen, was sie nun wieder für eine Ausrede erfinden werden, wenn man sie zur Verantwortung zieht.
    Hier ist kein Bürgerkrieg und die meisten Leute, die hier führen, sind eigentlich sehr ängstlich. Sie haben zweierlei Angst, einmal fürchten sie sich vor den Massen und reden sich immer wieder in einen größeren Radikalismus hinein, und dann fürchten sie sich wieder vor der eigenen Courage. Passiert ist noch keinem Menschen was hier, im Gegenteil, gleich wenn einer sich bedroht sieht, begibt er sich zu den höchsten Stellen und fängt das Verhandeln an und stets, stets erreicht er sein Ziel.
    Im alten Staat ist geschnauzt worden vom Gefreiten, vom Schaltermenschen bis zum Minister hinauf. Meistens ist man überhaupt nicht bis da hinauf gekommen, heute geht das alles anders. Es sieht fast ein wenig nach Schilda aus - die Bürger erregen sich und plustern die Backen auf und laufen zur höchsten Instanz und die ? Die ist ein Mann, der sofort kulant wird und fragt: >Ja, was ist denn das? Da werd' ich gleich einmal abhelfen, meine Herren !< Es ist drollig, aber es ist menschlich. Es ist so menschlich, daß jeder Mensch davor den Respekt verloren hat. Und das wird diese Revolution vernichten helfen, denn die Unteroffiziere sind nicht auszurotten in Deutschland, Sie wollen Ordnung und siegen sicher. Ich weiß nicht, wo ich hingehöre, hab' ich geschrieben? Jetzt weiß ich's ungefähr und jetzt ist mir wohl ...«
    Die Straßen waren schon mit leicht angedunkelter Luft erfüllt, als ich nach Nymphenburg zurückwanderte. Auf dem Wiesenfußweg, der zur Holländervilla führte, hörte ich auf einmal Schritte hinter mir. Ich drehte mich um. Eine Gestalt kam daher, ein Mann war's. Ich ging langsamer, denn hinter mir Hergehende waren mir von jeher

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