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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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brauchte. Er war der gute Schatten bei jeder Aktion, er stellte die Zeitungen zusammen, die andere mit ihrem Namen deckten, er schuftete Nächte hindurch und verrichtete alle ungenannte Kleinarbeit für die Revolution, er war unermüdlich, kam, tat, was von ihm verlangt wurde, ging wieder und wanderte woandershin. »Da hast du meine Atelierschlüssel! ... Du kannst hier hausen ... Ich wohn' ja sowieso in Nymphenburg draußen«, sagte ich. Er nickte. Ich ließ ihn einschlafen und entfernte mich.
    Durch die Straßen zogen unablässig Arbeiterbataillone mit geschultertem Gewehr. Jeder schaute ernst, beinahe traurig drein. Sie zogen dahin, hinter beladenen Lastautos her, durch die zujubelnde Menge, mit einem schwermütigen Schritt. Alte, ausgerackerte, bärtige Arbeiter und junge Burschen mit kühnen Augen waren dabei. Gar groß begeistert schienen sie nicht. Die jungen Gesichter sagten ungefähr: Wir können uns doch nicht lumpen lassen! Und die alten hatten schweigende Pflichtfalten. Fast wie Anno 1917/18, in den letzten Kriegsjahren, wälzte sich dieses Heer dahin, mit stoischem Mut, hart und bitter und so eben, weil es sein mußte.
    Schamrot wurde ich. »Viel Glück, Kamerad! Da hast' Zigaretten!« sagte ich zu einem Alten und gab ihm meine Schachtel. Das Herz saß mir auf der Gurgel. Er lachte halb, schlug seine Augendeckel auf und nieder und murmelte: »Dankschön.«
    Das Fräulein schickte Briefe, besorgt klangen sie. Ich ersah daraus, daß der eine oder andere verlorengegangen war und ich konnte ermessen, wie die Berliner Zeitungen über die Räterepublik logen. Unsere Trinkgelage wurden stumpfer und waren nicht mehr heiter. Von fernher durch die Nacht donnerten die Kanonen, die Fensterscheiben klirrten leise, die Wände zitterten ein wenig. Mir wollte der Wein nicht mehr schmecken. Die Schlachtbank, die Schlachtbank, dachte ich immerfort dumpf, und grausig malte ich mir aus, wie man sie hinmetzeln würde, die Tausende und aber Tausende der Arbeiter. Gegen den Unteroffizier war nicht aufzukommen. Der kannte nichts als Krieg und Niedermachen. »A-a-ahach, schenk' mir ein! Schenk' mir ein, Mensch! Laßt uns ersaufen!« stöhnte ich und trank schnaubend. Einmal in einer Nacht schlug der Hund an und hörte nicht mehr auf. Die Klingel ging lang. Draußen vor dem Tor lärmte es.
    »Wer ist denn da?« schrien wir drei Männer zugleich durch die offene Haustür und sahen unter dem Torlicht zwei Gestalten. »Schorsch! Achenbach!« antwortete es. Sie waren als Sanitäter nach Dachau gewandert, man hatte sie aber wieder zurückgeschickt. Uns wurde leicht. Wir ließen sie herein. Dann läutete es wieder. Tautz, mein Zimmerherr und Pegu kamen.
    Dieses Zusammenkommen lockerte die alte Heiterkeit wieder auf.
    Wir zechten bis zum Tagesanbruch. Hitzig diskutierten wir mitunter, der Holländer setzte sich an den Flügel, Pegu dichtete ein Lied, es fand sich eine Melodie und alle sangen wir zuletzt begeistert:

    »Brüder, wir kämpfen den Kampf um die Freiheit!
Brüder, es geht jetzt zum letzten Gefecht!
Ist es gewonnen, ist alles gewonnen!
Brüder, seid einig, und unser der Sieg!«

    »Diese Revolution hat kein Lied! Das ist das Schlimme!« sagte ich. Die anderen lachten.
    »Romantik! Die Revolution braucht bloß Waffen!« meinte Tautz. »Die Französische Revolution hat bei Jemappes mit der Marseillaise gesiegt«, rief ich wiederum.
    »Allerdings war da ganz Frankreich revolutionär und nicht bloß eine Stadt«, warf der Holländer ein wenig spöttisch hin. »Ja! Ja! Das stimmt!« lachte Davringhausen snobhaft. »Meine Herren, legen wir lieber das Trauerband an.«
    »Wir siegen«, riefen Achenbach und mein Zimmerherr unüberzeugend.
    »Wir verlieren«, sagte ich seltsam pathetisch. »Aber sie können die Revolution nicht mehr umbringen.«
    »Sehr richtig«, stimmte Schorsch bei wie bei einer Versammlung. Am andern Tag fand in der Ludwigstraße die erste und letzte Parade der Roten Armee statt. Am Kriegsministerium vorbei defilierten die Reihen, rote Fahnen wehten und »Hoch«-Rufe erschallten. Dichte Gafferscharen bevölkerten die Trottoire. Vom offenen Fenster herab sprach Engelhofer, der Kommandant der Armee. Entschlossen und ungeziert, in Matrosenuniform, stand er da, manchmal hob er seine Faust. Wer ihn hörte, mußte ihm glauben.
    Zur Feier des ersten Mai rüsteten die drei sozialistischen Parteien. Die Mehrheitssozialisten wollten den üblichen Umzug und Versammlungen, die Unabhängigen dasselbe und die Kommunisten

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