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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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einschüchternd wirkte, fast elegant drohend: »Ich kann Sie ja an die Wand stellen lassen ... Bedenken Sie doch! ... Das ist Widerstand gegen die bestehende Gewalt! ... Ich bin Beauftragter dieser Regierungsgewalt!«
    Aber die Herren waren nicht ängstlich, im Gegenteil, ich sah sogar, wie der Pfarrer fast ein wenig mitleidig lächelte und gleich wieder sagte: »Ja, das können Sie ja tun ... Das gewärtigen wir mit festem Glauben ... Wir leugnen unsere Religion nicht ... Nein - nein, wir bitten uns zu Landauer zu führen ... Wenn die Verhandlungen nichts ergeben, treten wir zurück und überlassen Ihnen alles ... Aber, nein, nein, das-das tun wir nicht ... Lieber, lieber sterben wir in Jesu ... Bitte zu Landauer.«
    Achenbach lächelte ein wenig und zögerte schon. Auf einmal sprang ich auf und trat vor die beiden, die kochende Wut zischte in mir. »Was?! Was ist das?! Ja, Himmelherrgottsakrament,Kruzifix, was bilden Sie sich denn da ein!« schrie ich überlaut, und die Herren fuhren zusammen, wandten sich geradezu hilfesuchend an Achenbach. Aber ich war schon im Zug.
    »Was?! Im Krieg haben Sie den ganzen Schwindel drucken müssen, den Ihnen Ludendorff befohlen hat, im Krieg haben Sie gepredigt, es müssen Menschen umgebracht werden um Gottes willen! Im Krieg haben Sie jede Lüge gedruckt und geschwindelt! Und jetzt auf einmal kommen Sie mit Ihrem Glauben daher! Sie sind Katholiken? ... Ich bin auch einer! Aber so was Verrottetes und Verlogenes hab' ich noch nie gesehen! Sie sind ja die größten Pharisäer! ... Das gibt's ganz einfach nicht! Der Artikel wird gedruckt und zu Landauer wird nicht gegangen! Verhandlungen gibt es nicht! Regierung ist Regierung! ... Da kann ja jedes Waschweib daherlaufen und zum Landauer wollen! ... Nichts gibt's, gar nichts! Wir gehn nicht!« polterte ich und schäumte schon.
    »Um Gottes willen, Herr von Achenbach, diese Gotteslästerungen, dieses Fluchen! Nein-nein!« jammerten die zwei. Ganz konsterniert waren sie. Immer wieder forderten sie Unterhaltungen mit Landauer. Achenbach war hilflos, wollte schon wieder disputieren.
    »Quatsch nicht, Mensch! ... Wir stehn hier und haben einen Auftrag, fertig!« plärrte ich ihn an und bellte schon wieder auf die zwei Herren ein: »Im Krieg haben Sie keinen Glauben gehabt! Da war alles christlich und recht! Ja, gebetet ist worden, geschwindelt und geschachert ist worden, daß ja jeder verreckt für diese Verbrecher und Kaiser! Sie sind nichts anderes als die Arbeitslosen, aus! Hier ist keine Diskussionsbude, Schluß! Sie können ja gehn!« rief ich abermals bissig und wandte mich an meinen Genossen: »Also, zu Landauer wird nicht gegangen! Tu' deinen Browning weg! Die lachen ja doch bloß! ... Die wissen ganz genau, daß ihnen nichts passiert!« Ich wollte mich setzen, aber der Pfarrer und sein Nebenmann ließen nicht locker mit Landauer, sie wollten allein gehen und machten auch schon Anstalten dazu.
    »Nein! Wenn Sie gehn, können Sie gehn! Wir werden sofort Verhaftungsbefehl geben!« brüllte ich und sagte zu Achenbach: »Ruf an, daß man sie sofort festnimmt! Nur keine Rücksicht! Mit uns hat man auch nie eine genommen.« Aber mein Genösse rief nicht an. Eine kurze Weile verging feindlich und stumm. Ich setzte mich und schaute zum Fenster hinaus. Endlich fingen die Herren wieder mit Achenbach zu verhandeln an und nach langem, hartnäckigem Hin und Her, bei dem ich mich nicht beteiligte, erklärte sich mein Genosse bereit, zu Landauer zu gehen.
    »Mein Amt ist damit erledigt«, sagte ich, stand auf und ging mit. Die zwei marschierten voraus, wir hinten nach. Auf der Straße raunte ich hastig Achenbach ins Ohr: »Du bist der größte Trottel, den es gibt, Servus!« Damit zog ich ab. Er sah mir ein wenig verdutzt nach und gesellte sich dann zu den zwei Herren. Später erfuhr ich von Pegu, daß Landauer wirklich die Überzeugungstreue der Herren anerkannt und den Artikel zurückgezogen hatte. »Soso! ... Jaja, natürlich, die Freiheit über alles, wenn auch die Revolution darüber kaputtgeht«, spottete ich. »Ludendorff hätte sie auf der Stelle füsilieren lassen, Noske auch, aber wir, wir sind ja menschlich.«
    »Diese Räterepublik taugt auch nischt«, meinte mein Freund, »sie fliegt bald ... Die Kommunisten machen nicht mit.«
    Ein schreiender Zug mit Fahnen kam auf der Sendlinger Straße daher, Levien mit seinen bespornten Reitstiefeln marschierte voran. Zum Schillerdenkmal zog die Masse, dort bestieg Levien den Sockel und hielt

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