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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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glitten brüllend und heulend wieder zurück und stürmten mit erneuter Erbitterung vor.
    »Nie-ieder! Nie-ieder! Nie-ieder!« dröhnte auf, die Maschinengewehre knatterten, die Stürmenden jagten abermals vor und schössen, was aus ihren Gewehren herausging. Im Rauchgeschwader tauchte Sontheimer auf, schwang das Gewehr und schrie zurück: »Vorwärts! Sturm! Sturm!« Zwei Gewehre hatte er außerdem umgehängt, auf seinem Bauch baumelten zwei Feldstecher, eine breite rote Schärpe trug er, drinnen steckte ein mächtiger Revolver. Um ihn herum pfiffen die Kugeln. »Vorwärts! Auf! Sturm!« brüllte er abermals und alles stürzte hinter ihm nach, wieder ein Kanonenschuß, Fensterscheiben klirrten, Getroffene fielen um, Boden und Häuser zitterten, die Menge, in der ich steckte, wogte weiter, vor mit den Stürmern und mit furchtbaren Geschrei in den krachenden Bahnhof.
    Keine Waffe! Einfach so wie ein Fleischklumpen sich wegschießen lassen, tobte immerfort durch meinen wirren Kopf, und mit zusammengebissenen Zähnen, mit festverkrampften Fäusten ließ ich mich weiterdrängen. Auf einmal schrie ich mit aller Wut in die Ohren der um mich Gestauten: »Ja, Herrgottsakrament, was ist's denn eigentlich! Gegen wen geht's denn eigentlich?!« Derart bellte ich, daß die an mich gepreßten Körper erschreckt erzitterten. Ich war nahe daran, einfach irgendwen anzupacken und ihn in Stücke zu zerreißen, bloß aus dem blindwütigen Drang heraus, nicht ganz und gar umsonst niedergeknallt zu werden. Nebenher lief immer der Gedanke: Dumm! Saudumm! Immer kommst du ins Gedräng', und nie hast du einen Zweck.
    Seitdem kann ich mir ungefähr vorstellen, auf welche Art ein Feigling zu einem Helden wird.
    »Gegen die Bamberger! Gegen Hoffmann, Rindvieh!« kam es zurück, und deutlich empfand ich eine Erleichterung. »Na also! Dann ist's ja gut! Nur los! Nichts wie los!« gab ich Antwort. Es ging unter. Das Schießen hatte ziemlich aufgehört, schallend schrie es durch die hohen Hallen: »Sieg! Sieg! Hoch die Räterepublik!« Der Bahnhof war genommen und von Kommunisten besetzt. Lachende Gesichter kamen in mein Blickfeld. Von der Arnulfstraße aus war unsere Masse in die Halle gedrungen, bei der Bayerstraße kam ich mit ihr hinaus. Das dichte Gemenge floß wie ein gehackter Brei auseinander, rann über den Platz und in die Straßen. Das Aufatmen aller teilte sich dem einzelnen mit. Jetzt erst erfuhr ich, was geschehen war. Einige Mehrheitssozialisten hatten in der vorhergehenden Nacht etliche Kasernenräte insgeheim für die Regierung Hoffmann gewonnen, im Namen der gesamten Garnison München einen Anschlag gegen die Räterepublik verbreiten lassen, das Standrecht verkündet, die wichtigsten Gebäude besetzt, den Zentralrat für abgesetzt erklärt, Mühsam, Wadler und noch irgendwelche Räte verhaftet und nach Niederbayern verschleppt. Hierauf forderte der Zentralrat zum Generalstreik auf, die Kommunisten übernahmen die Führung der bewaffneten Betriebe und Massen, die Putschisten wurden zurückgeschlagen, entwaffnet und davongejagt. Ein neuer Zentralrat regierte, die Kommunisten ergriffen die Macht, die sogenannte zweite Räterepublik hüb an, schier über Nacht erstand die bisher wohl begonnene, aber sehr lässig durchgeführte Organisierung der »Roten Armee.«

XXV
DER ZUSAMMENBRUCH

    Vierzehn Tage lang sammelten sich die Arbeitermassen Münchens zum Abwehrkampf gegen die herandringenden Truppenverbände Noskes und gegen die lauernden, inneren Revolten ihrer Gegner. Vierzehn Tage lang versuchten die meistgenannten neuen Machthaber Levine-Nissen, Levien, Egelhofer, Landauer, Toller und Axelrod mit einem Heer von zufälligen, wankelmütigen Mitläufern und unsicheren Helfern eine kommunistische Räterepublik einzurichten. Vierzehn Tage lang hatten die Besitzenden ein unangenehmes Gefühl und schienen alle wie verkrochen.
    »Jetzt kommt für jeden ein Existenzminimum«, sagte ich zum Holländer, »du bist beispielsweise Musiker! ... Du kriegst vom Staat zwanzig Mark oder etwas mehr in der Woche und ich auch.« Der Mann bekam einige hastige Falten auf der Stirn und als ich lachte, lachte er auch gefroren. Unsere Villa war noch immer eine unberührte Insel. Das Leben ging da wie ehemals, die Geschehnisse behinderten es nicht im mindesten. Ich kam einmal wieder zu meiner Gönnerin in der Stadt. Sie war ein wenig unruhig.
    »Was wird geschehen, Herr Graf? ... Man wird mir meine Wohnung vermieten ... Wissen Sie, ich hab' ja gar nichts

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