Wir sind Gefangene
zuwider. Der Mann hatte mich erreicht. Ich sah ihn an und er mich, und beide waren wir ein wenig verblüfft. Es war der Graukopf vom Bayrischen Kurier . »Guten Abend, Herr Nachbar«, sagte ich. Er erkannte mich wieder völlig.
»Guten Abend«, sagte er genauso. Ich mußte ein wenig lachen. Sein Gesicht wurde gar nicht unfreundlich.
»Hm, das ist komisch ... Heut' hab' ich aber einen Krach gemacht bei Ihnen«, sagte ich wiederum.
»Jaja ... das ist nicht so arg ... Das sind halt Meinungsverschiedenheiten ... Temperamentssache«, erwiderte der
Mann gemütlich. Das tat mir wohl.
»Ja, ich bin schon manchmal so hitzig«, gab ich ebenso zurück. »Sind Sie bei der Regierung?« wollte mein Begleiter wissen. »Nein-nein, bloß ab und zu helf ich ein bißl mit«, entgegnete ich harmlos.
»Soso ... Arbeit gab' es jetzt genug ... Wohnen Sie da heraußen?« erkundigte er sich.
»Ja - Nein, eigentlich mach' ich bloß hie und da einen Besuch da drüben«, antwortete ich.
»Soso, bei dem holländischen Herrn da drüben? ... Da sind wir ja halbe Nachbarn ... Soso«, meinte jetzt der Graukopf und ging auf ein seitlich liegendes Haus zu: »Ich wohn' hier ... Gute Nacht...« »Gute Nacht«, rief ich freundlich zurück und dachte, auweh, da wenn die Noske-Truppen siegen, geht's dir gleich an den Kragen. Der denunziert dich sofort.
Davringhausen war schon in der Villa, der Holländer hatte gutgelauntes Gesicht, und Marietta fragte heiter: »Na, was ist's mit dem Minister?« Alle drei lachten spöttisch.
»Ich? ... Ich bleib' Hofnarr bei dir«, sagte ich zum Holländer und erzählte meine Erlebnisse. Davringhausen berichtete, er sei gleich wieder gegangen, als er sich den Künstlerrat angesehen gehabt habe. Wir verbrachten in der üblichen Weise die Nacht. Ich kam aber nicht recht in Stimmung diesmal und ging anderntags wieder in die Stadt. Die hatte ein kriegerisches Gesicht jetzt. Überall sah man bewaffnete Zivilisten. Die Kommunisten hatten das Vereinshaus der katholischen Verbände – Leohaus - besetzt und druckten dort notdürftig ihre Rote Fahne . Vor dem Eingang waren mächtige Papierballen zu einer Art Barrikade zusammengerollt, ein Maschinengewehr stand im Hausgang und hie und da patroullierte ein Parteimann als Wächter auf und ab. Ich ging auf ihn zu. Er erkannte mich und ließ mich durch. Im unteren Raum waren Wachlokale, Waffen aller Gattungen lagen herum, bekannte und unbekannte Gesichter sah ich, die wichtigtuerisch ineinanderredeten und dann wieder Witze machten. Droben in einem Zimmer traf ich ein hünenhaftes Mädchen mit Tituskopf, das auf den Namen Hilde hörte. Etliche Spartakusleute fragten mich nach einem zuverlässigen Drucker, ich wußte keinen, ratlos wurde hin und her debattiert. Ich ging wieder. Im Nebenraum des Künstlerratsaales traf ich meinen Zimmerherrn, der den Einlauf der Nachrichten überwachte und die amtlichen Kundgebungen für die Zeitungen zusammenstellte. »Du kommst grad' recht! Geh' her! Du kannst doch tippen?« fragte er mich, und als ich nickte, befahl er mir, mich an die Maschine zu setzen. Ich tat's. Er diktierte. »Die ungarische Räterepublik entbietet den bayrischen Brüdern revolutionäre Grüße«, rief er und sah zerstreut die mit Schreibmaschinenschrift beschriebenen Blätter auf dem Tische durch. Das Telephon läutete. Er nahm den Hörer. »Nachrichtenabteilung des Zentralrates! ... Hallo! ... Ja, Titus, bist du's?« rief er und nahm ein Blatt. »Hör mal... Was ist denn das? Die Augsburger Betriebsräte sind zu Hoffmann nach Bamberg gereist zu Besprechungen! ... Eine Schweinerei das! Wer hat denn das angeordnet? ... Was? ... Nee! Druck' nur ruhig! Räteregierung steht fest! ... Jaja, weiß schon ... Schneppenhorst sitzt in Nürnberg, der Schuft, jaja, stimmt ... Der Graf ist da, ja ... Hallo! Hörst du! Ja, Noske will säubern, jaja ... Kriegt blaue Bohnen, jaja!«
Er legte den Hörer in den Halter und wandte sich wieder an mich: »Mensch, x-mal haben die Mehrheitssozialisten schon mitgemacht, immer wieder verraten sie ... Ich war doch dabei ... Schneppenhorst hat zugestimmt bei der Ausrufung der Räterepublik und jetzt sitzt er in Nürnberg und spioniert gegen uns ... Zum Kotzen das mit den Unabhängigen! Immer wieder plappern sie Einigung und gehen mit diesen Verrätern zusammen ... Das einzige ist Spartakus ... Bevor nicht die Kommunisten alles in die Hand nehmen, wird nichts ... Kein Schwein kennt sich mehr aus!«
Ich wartete auf Diktat und sagte nichts. Er hatte
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