Wir sind Gefangene
ich sollte entscheidende Antwort geben. Ich schrieb vertraulich: »Hochwohlgeborener Herr Verleger! Ich freute mich über alle Maßen, daß Sie mich entdeckten. Das Geld schicke ich, sobald ich kann. Ich bekomme es nämlich von meinen Schwestern, und die müssen es erst bei der Sparkasse kündigen. Ich bitte Sie herzlich, mir noch ein wenig Zeit zu lassen. Ich verspreche sicher, das Geld bald zu schicken. Recht herzlichen Vertrauensgruß Ihr dankbarer Oskar Graf, Schriftsteller.« Und nun mußte der entscheidende Schritt getan werden. Damals war zugleich Theres, meine älteste Schwester, in der Stadt und lernte das Damenhutmachen. Ich wußte durch Nanndl ihre Adresse. Da ich mich aber schämte, zu ihr zu kommen, mußte ich es so einrichten, als ob wir uns ganz zufällig und ohne meinen Willen träfen. Ich schlich also in den Abendstunden an den Ausgang des Geschäftes, wo Theres lernte. Um sieben Uhr mußte sie kommen. Ich ging eine ziemliche Strecke weg vom Ausgang und beobachtete jeden Menschen, der aus dem Tor kam. Eine quälende Spannung trieb mich hin und her. Punkt sieben Uhr kam Theres mit mehreren Kolleginnen aus dem Tor heraus. Nach einer kurzen Verabschiedung kam sie das Trottoir entlang auf mich zu, ohne mich zu sehen. Ich ging ihr entgegen, als ob ich es sehr eilig hätte. Plötzlich, fünf Schritte weit entfernt von ihr, erkannte sie mich. Sie blieb einen Moment stehen und sagte erschrocken: »Ja, Oskar!« Ich reichte ihr trotzig die Hand und versuchte mit Gewalt, Gleichgültigkeit zu spielen. Und nun ging das Fragen los: »Was machst du denn? Hast du eine Stelle? Wo wohnst du denn? Wie geht's dir?« Ich wich überall aus und tat sehr geheimnisvoll, sagte nur immer: »Schreiben tu ich.« So ... Was schreibst du denn?« »Zwei Dramen habe ich geschrieben.« Sie schüttelte den Kopf: »Ja, verdienst du denn was?« Ich sagte: »Das werdet ihr ja sehen in einem Monat.« Sie wurde neugierig: »Was ist denn das?«
»Naja, in einem Monat kommt ein Buch von mir heraus.«
»Kriegst du denn da so viel Geld, daß du leben kannst?« fragte Theres eindringlich und fuhr, mich messend, fragend fort: »Und wo wohnst du denn?«
»In der Zweigstraße, im zweiten Stock«, sagte ich knapp.
»Was zahlst du denn Miete?« drang sie weiter in mich, und ihr Blick wurde immer unruhiger. »Dreißig Mark im Monat«, antwortete ich trocken.
»Wo hast du denn das Geld her? Und wie lebst du denn? Wo ißt du denn?«
»Ich? ... Ich koch' mir meistens selber«, sagte ich etwas stotternd. Sie wurde immer unruhiger. Von einem Erstaunen in das andere fiel ihr Gesicht.
»Kann man jetzt noch zu dir gehen? Ich möcht' es gern heut' noch tun«, bat sie mich.
Wir gingen zum Hotel. Allmählich wurde ich immer trauriger und kam kleinweise mit der Wahrheit heraus, erzählte ihr das mit dem Verleger, und daß ich kein Geld mehr hätte, klagte über Max und über alles und sagte pathetisch: »Mein Talent darf doch nicht untergehen! Ihr wißt ja gar nicht, was ihr für einen Bruder habt.« Als wir am Haustor standen, erschrak Theres ordentlich und sagte: »Was!? ... In einem Hotel wohnst du? ... Ja, das geht doch nicht! Das kannst du doch gar nicht bezahlen! Das muß ja riesig teuer sein.« »Ist schon alles bezahlt«, sagte ich wieder trocken und trotzig. »Wieso denn?« fragte sie. »Naja, drei Monate Miete sind schon bezahlt«, erwiderte ich wie vorhin. Dann gingen wir hinauf auf mein Zimmer. Theres stand wie geistesabwesend da und sagte nur immerzu: »Dreißig Mark! Dreißig Mark, ja Bub, ja Bub!«
Dann zeigte ich ihr den Brief vom Verleger und drang so lange in sie, bis sie und ich zusammen weinten und sie versprach, daß sie mir mit Emma das Geld für den Verleger geben wolle. Ich wurde sofort wieder munter und sagte feierlich: »Das wird dir einmal einen stillen Ruhm bringen, wenn ich tot bin.«
Ich begleitete sie nach Hause. Sie gab mir etwas Geld, und in weiteren vier Tagen wußte Emma alles daheim und schickte fünfhundert Mark. Ich sandte sofort davon den Betrag an den Verleger und schickte den unterschriebenen Vertrag.
Jeden zweiten Tag schrieb ich einen ellenlangen Brief an meinen »Verleger« und fühlte mich schon ganz als großer Dichter. Drei Wochen nachher kamen etliche Korrekturbögen und ein Schreiben des Konkursverwalters des Verlages, der mir eröffnete, daß die Firma pleite sei und ich meine Ansprüche angeben solle. Ich war wie erschlagen, rannte zu Theres und klagte ihr mein Leid. Ich fand dabei Töne, die selbst
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