Wir sind Gefangene
den verstocktesten Griesgram erweichen mußten, aber Theres war unerbittlich.
»Du mußt raus aus dem Hotel«, sagte sie resolut und versprach mir, ein Zimmer zu suchen.
»Du mußt dir eine richtige Arbeit suchen«, war ihr zweites Wort, »die Dichterei bringt dich um.«
Am andern Tag, unter der Mittagszeit, kam sie angerannt und sagte entschlossen: »Komm, ich hab' ein Zimmer für dich.« Wir gingen die Schillerstraße hinunter. Im zweiten Rückgebäude auf Nummer 16, zweiter Stock, zog ich sodann in etlichen Tagen ein. Theres hatte das Zimmer schon bezahlt. Es kostete 16 Mark monatlich. Wir versuchten, vom Hotel noch den letzten halben Monat herauszubringen, wurden aber abgewiesen. Mir war dieses Hin-und-Her-Schachern zuwider, weil ich immer annahm, der Kellner könnte den Respekt vor mir verlieren und mich nicht mehr für einen vermögenden, vornehmen Herrn Schriftsteller halten und weil, wenn schon einmal das Geld weg war, es mich nicht mehr genierte. Vielleicht gerade deshalb, weil Theres von meiner Seite in ihrem beharrlichen Zurückverlangen des Mietgeldes nicht im geringsten unterstützt wurde, scheiterte ihre Anstrengung. Das Zimmer in der Schillerstraße war etwas düster und mit imitierten altdeutschen Möbeln vollgestellt. Die Hausfrau hatte ein listiges Luchsgesicht und ihre emsige Beflissenheit machte mich von vornherein mißtrauisch gegen sie. Es kam mir auch vor, als ob Theres vorher mit ihr über mich gesprochen hätte, denn ich brachte den Eindruck nicht los, als sei ich hier ungefähr wie ein Zögling in eine Beobachterstation gegeben.
»So, das ist alles, was wir noch tun können, und jetzt mußt du dir eine Arbeit suchen oder wieder heim«, sagte meine Schwester, als wir allein im Zimmer waren, und war halb am Weinen. Dann ging sie. Mein Trotz bäumte sich wieder. Ich schrieb an Nanndl einen flehenden Brief, sie soll mir doch helfen. Es kamen noch etliche Eßpakete, aber kein Geld. Ich begann mich um Arbeit umzusehen. In der Zeitung stand: »Lift wird per sofort gesucht, Tal 2 bei Röckenschuß.« Ich ging hin. Es war ein großes Tuchgeschäft. »Was wollen Sie?« sagte ein ältlicher Herr und musterte mich. »Bittschön, in der Zeitung hat gestanden, daß Sie einen Lift suchen«, sagte ich kleinlaut.
Der Mann lächelte: »Ja ... Aber«, und er sah auf die Visitenkarte, die ich ihm gereicht hatte, »Sie sind doch Schriftsteller? Wollen Sie denn jetzt einen Lift machen?«
Ich nickte unbeholfen und sagte bittend: »Nehmen Sie mich doch, ich will schon alles recht gut machen.« Nach allerhand Fragen, wo ich her sei und welche Schulen ich besucht hätte, bat mich der Mann, mit dem Hausmeister zu gehen. Der führte mich etliche Häuser weiter in einen Gang und zeigte mir meinen Tätigkeitsort. Es war ein vierstöckiges Geschäftshaus am Marienplatz. Ich fuhr etliche Male auf und ab und wurde dann am andern Tag angestellt. Pro Woche bekam ich sieben Mark. Am selben Abend noch ging ich zu Theres und sagte ihr das. Sie wurde wieder weich und versprach, mir in jeder Art behilflich zu sein. Eigentlich fühlte ich mich tief gekränkt, machte aber doch eine gute Miene. Heimlich dachte ich mir, einmal komme ich schon hoch, dann werde ich Rache nehmen, Rache für all diese Erniedrigungen und Beleidigungen meines Talentes. Ich rechnete immerzu, wie ich schnell Geld ersparen könnte, aber mit den sieben Mark kam ich auf keinen grünen Zweig.
Theres ließ durch Emma daheim verbreiten, ich hätte eine gute Stelle in einer Hofbäckerei, damit Max nichts gegen mich unternehmen konnte. Des öfteren kamen noch heimliche Eßpakete. -
Als ich die Liftstelle antrat, war es Februar. Ich mußte den ganzen Tag von früh sieben bis abends um sechs mit einer zweistündigen Mittagspause in einem offenen, gepflasterten Hausgang stehen. Es war grausam kalt diesen Winter. Nach kaum sechs Wochen bekam ich starken Rheumatismus und konnte eines Morgens nicht mehr aufstehen. Ich blieb, ohne Theres zu verständigen, einfach im Bett liegen und sagte der Hausfrau, ich sei krank, sie solle mir Tee machen. Nach drei Tagen - zufällig - kam Theres abends zu mir. Ich lag gemütlich im Bett und las. »Was ist denn mit dir?« fragte sie. »Ich lieg' schon drei Tage im Bett, ich hab' Rheumatismus, glaub' ich. Alles tut mir weh«, sagte ich.
»Hast du denn im Geschäft was gesagt, daß du krank bist?« fragte Theres.
»Nein - ich konnte doch nicht«, war meine Antwort. »Wenn du krank bist, mußt du ins Krankenhaus ... Da gehst du
Weitere Kostenlose Bücher