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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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zugrunde!« stöhnte meine Schwester enttäuscht. »Und außerdem, wenn du im Geschäft nichts gesagt hast, dann ist's auch aus mit deiner Stellung.« »Ich bin einfach krank!« zischte ich wütend und schimpfte fort: »Was geht ihr mich alle an! Laßt mich allein! Ich pfeife auf solche Arbeiten, wo ich nur krank werde! Ich werde mich schon anders durchbringen.« Eine Zeitlang saß Theres schweigend da und fing auf einmal leise zu weinen an: »Aber Oskar! ... Das kann doch nicht so weitergehen ... Entweder du suchst dir eine richtige Arbeit oder du gehst wieder heim! Du verkommst ja ganz und gar! Dieses Dichten können sich bloß Leute mit Geld leisten! ... Das ist doch Unsinn!« »Was liegt denn dran, wenn ich verkomm'!« murrte ich boshaft und drehte mich um. Ich bekam plötzlich einen namenlosen Haß auf meine ganzen Geschwister und schwor mir, nie mehr etwas hören zu lassen. »Du, Oskar!« jammerte Theres auf einmal und rüttelte mich: »Sei doch vernünftig! Es wird schon wieder werden.« Ich drehte mich um und streckte ihr kalt die Hand hin. Sie war ganz zermürbt und ging schließlich.
    Ungefähr nach einer Woche konnte ich wieder aufstehen. Ich begann wieder zu lesen, schrieb und verbummelte die Tage auf irgendeine Weise. Eine Unzufriedenheit, ein Ekel vor mir selber erfaßte mich. Verzweifelt und zerrissen dämmerte ich dahin. -
    Jetzt kam mir eine neue Idee. Ich schrieb Witze und schickte sie ein. So was kann Geld bringen, dachte ich. Etliche Mark hatte ich noch und Theres gab mir vor dem Weggehen etwas. Eßzeug war noch da. Es ging also.
    Überall, wo ich hinkam und was ich auch las, wollte ich nun nach Witz ausbeuten. Ich erinnerte mich an meine Schulzeit. Da war einer, der aus dem Wort »Hut« einmal folgenden Satz bildete: »Der Hut ist zu klein, weil der Kopf zu groß ist«, und ein anderes Mal schrieb er in einem Aufsatz über den Hahn: »Der Hahn springt auf die Henne und zwickt sie hinein.« -
    Sobald ich einen solchen Witz hatte, lief ich eilends zum Sendlinger-Tor-Platz ins Schreibbüro und diktierte ihn dem Fräulein mit dem Stäbchenkragen, ließ zugleich einen Brief dazu schreiben und sandte beides an die Meggendorfer Blätter oder an die Fliegenden ein. Andauernd. Ich bat immer gleich stürmisch: »Werte Redaktion! Hier habe ich einen Witz. Nehmen Sie ihn. Er ist schlagend und bringt sicherlich viele Leser zum Lachen. Ich gebe Ihnen denselben für nur fünf Mark. Achtungsvollst Oskar Graf usw.«
    Ohne jemals die Antwort abzuwarten, sandte ich ein, immerzu. Und rechnete genau die Summe zusammen, die ich dafür eventuell bekäme. Zufällig traf ich einmal Theres.
    »Hast du schon eine Stelle?« war ihre sofortige Frage. »Ha, ich brauche keine Stelle! Ich verdien' jetzt genug«, sagte ich selbstsicher. »Durch was denn?« fragte sie wieder. »Ich bin jetzt Mitarbeiter bei den Fliegenden und bei den Meggendorfer Blättern. Von den ersteren bekomm' ich in kurzer Zeit für vierzig Witze zweihundert Mark und von den anderen zirka hundertzwanzig Mark«, erzählte ich fast von oben herab.
    »Ja, ist denn das auch bestimmt? Haben sie dir das schon zugesagt?« drang meine Schwester mit ihrer verbohrten Gründlichkeit in mich. »Das nicht, aber ich hab' sie doch hingeschickt und da muß ich eben jetzt warten«, antwortete ich ruhig.
    »Meinetwegen«, stieß sie zuletzt heraus, »ich helf dir nimmer! Mach, was du willst! Einmal wirst du schon sehen, daß du ohne richtige Arbeit nicht weiterkommst!« Dann ging sie.
    Ich konnte nicht begreifen, daß man die einfachsten Dinge, wie so etwas mit der Mitarbeit, nicht fassen konnte und schüttelte den Kopf.

VI
EINE SEHR SCHIEFE SACHE

    Zu jener Zeit ereignete sich etwas, das mich mehr als zehn Jahre wahrhaft peinigend verfolgte, wenngleich ich darüber hinwegging wie über alles Selbstverschuldete, Sinnlose und Dumme in meinem weiteren Leben.
    Damals nämlich bekam ich plötzlich einen Brief von meinem Bruder Maurus aus Kassel, der mich in höchste Aufregung versetzte. »Lieber Oskar«, hieß es ungefähr darin, »ich komme jetzt auch nach München, will mir eine Stelle suchen und freue mich schon sehr auf dich.« Über zu Hause wurde geschimpft und »nun wollen aber wir zwei zusammenhelfen und sparen. Wir machen dann eine Reise und kaufen uns Bücher. Es wird sehr schön«, schlug mir mein Bruder vor. Ich aber freute mich gar nicht über diese Nachricht, im Gegenteil, ein wahrer Schrecken durchfuhr mich. Nun kommt alles auf, dachte ich argwöhnisch. Er wird

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