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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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leise zu lächeln. Aber was sollte ich denn tun? Man kann doch wegen einer Tasse Kaffee nicht stundenlang dasitzen! Und noch mal und noch mal, noch mal bestellte ich Kaffee und Kuchen, verzehrte das Vorgesetzte mit eisigem Ernst. Die Kellnerin lachte schon. Mir wurde es peinlich. Ich sagte sehr laut: »Zahlen!«
    »Fünf Tassen Kaffee und fünf Kuchen - macht eine Mark und fünfzig und eine Mark fünfundsiebzig, sind drei Mark und fünfundzwanzig«, rechnete die Kellnerin mit unterdrücktem Lächeln. Ich machte mich schleunigst aus dem Staube. Draußen auf der Straße kam mir plötzlich ein Gedanke. Ich ging auf und ab vor dem Cafe und schielte unausgesetzt durch das Fenster. Da auf einmal bemerkte ich, daß das Wassermädchen Gläser auf einen Tisch stellte. Beruhigt ging ich ins Hotel zurück. Aha, dachte ich, man kann also auch Wasser trinken.
    Am andern Tag kam ich wieder und bestellte Wasser. »Wasser gibt's nur zum Kaffee«, war die Antwort. Über und über rot, bestellte ich Kaffee und ging, sobald ich ausgetrunken hatte, weg. Ich habe aus diesem Grunde lange kein Kaffeehaus mehr besucht, und erst viel später lernte ich, wie man das alles macht.
    Eines aber war zu damaliger Zeit für mich eine der größten Errungenschaften. Kaum war ich richtig warm in der Stadt, ließ ich mir Visitenkarten drucken mit der Aufschrift »Oskar Graf, Schriftsteller, München«. Das war mir soviel wie ein Ausweis und ein Schritt in ein neues Leben.
    Ich war, was ich sein wollte. Hier stand es schwarz auf weiß in unverwischbaren, ewig gleichen Buchstaben. Ich ging ins Hotel und brachte meine Karte sehr sichtbar an der Türe an. Sofort schenkte ich dem Kellner eine und sagte jovial und biedermännisch zutraulich: »Das wäre gemacht.«

V
ARBEITEN

    Entsetzlich schnell vertat sich das Geld. Immer weniger wurde es. Obwohl ich fast nie - und das nicht etwa aus Sparsamkeit, sondern eben wegen dieser peinlichen Kaffeehausgeschichte - ins Wirtshaus ging zum Mittagessen. Obwohl ich fast dauernd Maggiwürfelsuppe kochte auf meinem Spiritusapparat und Kakao oder Tee mit Brot verzehrte. Es war unheimlich. Nach zwei Wochen waren es nur mehr zirka achtzig Mark. Aber immer, wenn ich sehr Angst hatte um das weitere Leben, kam mir, daß ich ja drei Monate untergebracht war. Drei Monate also keinen Pfennig brauchte, nur Maggiwürfel, Brot und Spiritus.
    Nach Hause schrieb ich nicht. Nur Nanndl bekam schon den zweiten Brief durch den Schuhmacher. Dem zweiten hatte ich eine Visitenkarte beigelegt. Sie mußte als erstes gedrucktes Wort imponieren. Der erste Antwortbrief von Nanndl war auch demgemäß. Sie versprach außerdem, heimlich Eßwaren und Geld zu schicken. Also schon eine Aussicht. Ich kaufte mir Schopenhauers Aphorismen zur Lebensweisheit , setzte mich alle Nächte an den Tisch und las sie mir laut vor. Mit einem Eifer und einer verbissenen Überzeugung tat ich das, daß ich bald alles auswendig konnte. Nebenher schrieb ich zwei Dramen. Das erste hieß Die Furcht vor dem andern und das zweite Die Ruinen der Gesellschaft . Die Furcht vor dem andern war der Ehrbegriff im jetzigen Gesellschaftsleben, und der Ruin der Gesellschaft war das Mißtrauen. Mittlerweile hatte ich mich auch etwas an das Stadtleben gewöhnt. »Schreiben Sie ein Schauspiel ab, wenn ich es Ihnen vorlese?« fragte ich eines Tages, in ein Schreibbüro am Sendlinger-Tor-Platz eintretend.
    »Ja, Diktat, die Stunde eins-fünfzig«, sagte die Dame mit dem hochgeschlossenen Stäbchenkragen und geleitete mich in ein Kabinett. Und in zwei Wochen - jeden Tag etliche Stunden - hatte ich glücklich meine zwei ersten Dramenmanuskripte fertig daliegen. Jetzt ging es an. Täglich schrieb ich zwanzig Briefe. Ich kaufte alle Zeitungen, Zeitschriften und Sonntagsblätter und suchte Verlegeradressen aus Büchern usw.
    Ich schrieb: »P. P. Ich habe ein Drama fertig und bin bereit, es Ihnen zum Verlag zu geben. Es ist eine Tragödie. Ich bin zufrieden mit tausend Mark. Wenn Sie weniger bezahlen, können wir noch reden. Es müßte schnell herauskommen und wird sicher sofort aufgeführt, denn es ist sehr dramatisch. Hochachtungsvollst Oskar Graf, Schriftsteller, Hotel Kronprinz, München, Zweigstraße.« An große Verleger wie Bong, Cotta, Fischer schrieb ich vertraulicher: »Werter und hochwohlgeborener Herr Verleger! In tiefster Not wendet sich ein junges Talent an Sie. Ich, Unterzeichneter, habe ein Drama geschrieben, das vielleicht sofort nach Erscheinen einen Riesenerfolg hat und viel

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