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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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durften ab und zu welche in die Waschzellen.
    Das Fräulein war angekommen und hatte mich auf der Polizei erfragt. Es durfte aber nicht herein. Der Wärter reichte mir durch die viereckige Türöffnung eine Konservenbüchse, Brot und einige Zigaretten. Wie jeder hier, teilte ich aus. Gemeinsam wurden die Zigaretten bis zum letzten Stummel geraucht, dann streifte einer die Glut weg und zerkaute das Übriggebliebene.
    »Schuster!« brüllte der Wärter draußen abermals. Der Gerufene kam heran und ging durch die offene Türe. Zwei Soldaten nahmen ihn in die Mitte und führten ihn über die steinernen Treppen hinauf. »Mensch, endlich fangen sie doch einmal mit dem Verhören an«, sagte ein unterwachsener Arbeiter. Ich erfuhr, daß einige schon fünf, acht Tage unverhört hier waren. Manchmal kam der Geholte wieder, manchmal nicht mehr. Die einen mutmaßten, er sei erschossen worden, die andern waren der Meinung, man habe ihn in ein anderes Gefängnis gebracht. »Erschossen wird da herinnen kaum einer ... Ja, vielleicht in den ersten Tagen! ... Jetzt nicht mehr ... Wir können ja von Glück sagen, daß man uns erst so spät gefaßt hat«, sagte ein alter Arbeiter und fing zu erzählen an von den Erschießungen im Schlacht- und Viehhof und im Hofbräuhauskeller. Viel mehr unschuldige, denunzierte und willkürlich festgenommene Zivilisten als Rotarmisten seien an die Wand gestellt und ohne Verhör einfach niedergeknallt worden, berichtete er. Kein Wort war erlogen. Später mußte sogar der Polizeibericht und derjenige des sozialdemokratischen Aktionsausschusses dies zugestehen. Ich sagte, was ich im Ostfriedhof gesehen hatte.
    »Ja, das sind die sogenannten standrechtlich Erschossenen«, meinte ein anderer Kamerad. »Gell, Weiber hast du unter den Toten gar nicht gesehen?«
»Nein.«
    »Die hat man weggeräumt, damit es nicht so feig aussieht«, sagte er. Eine Weile verging schweigend. »Mensch, für das hat man im Feld den Schädel hingehalten«, brummte einer.
    Die Tür ging auf. Ein Neuer kam. Ein ungefähr vierzigjähriger, zerhetzt dreinsehender Arbeiter war es. Er blieb stehen und schaute, als wolle er jeden auffressen. Als wir ihn gemütlich anredeten, brüllte er auf einmal furchtbar auf, rannte an die Tür und versuchte, dran zu reißen, schrie, schrie! »Meine Frau stirbt! Meine Frau! Laßt mich hinaus!« Der Wärter kam und schimpfte herein, ging wieder. Der Mann fing gräßlich zu heulen an, rannte herum wie ein Irrsinniger, fand den Abort und zerstampfte ihn mit seinen schweren Stiefeln. Wir überwältigten ihn und beruhigten ihn, so gut es ging. Er blieb schlotternd auf der Pritsche liegen, starrte irr zur Decke, dann brüllte er wieder furchtbar auf: »Meine Frau! Die Hunde! Die Metzger! A-a-ach!« Und weinte, weinte.
    Ein anderer wurde hereingeschoben, und blitzschnell war der Weinende an der Tür, aber sie klappte schon wieder zu. Der Rasende riß abermals dran und fiel bleich und wutschäumend lang hin, schlug um sich. Wir legten ihn wiederum auf die Pritsche. Einer tauchte sein Taschentuch ins ausgelaufene Abortwasser und legte es dem Schreienden auf die heiße Stirn. Der Mann fing wieder sein verzweifeltes Weinen an, und nun weinte auch der Lungenkranke hustend auf, stoßweise, immerfort. Der Neue erzählte von der Festnahme Levine-Nissens.
    »Den erschießen sie wie einen Hund!« sagte jemand. »Aber sicher!... Der kann noch so recht haben, er wird hingemacht!« gab ein anderer zurück.
    »Der muß da herinnen in der Polizei sein«, sagte der Neue. Die neben ihm hoben die Köpfe und schauten ihn an.
    »Ja, da herinnen ... Er muß in einer Einzelzelle sein.« Auf einmal drängte sich jeder um den Neugekommenen, auf einmal fragte jeder, auf einmal wich die Gleichgültigkeit, auf einmal belebte sich jedes Gesicht. »Da? ... Ganz gewiß? ... Wirklich ... Da, in der Polizei?«
    Abermals bejahte der Neue. Jetzt wußten es alle, jetzt schaute jeder sekundenlang dem andern in die Augen, ein stockendes Schweigen setzte ein, nur die Weinenden hörte man noch, und auf einmal schrien etliche aus der Mitte:
    »Hoch! Hoch Levine-Nissen!« Und wie ein jähes, aufmunterndes Signal ergriff es alle.
    »Schreit das nicht, da geht's uns schlechter«, mahnte der im Sportanzug kläglich.
    »Feigling!« plärrte ihn einer drohend an, und wie auf ein Zeichen wiederholte die ganze Zelle: »Hoch! Hoch, Levine-Nissen! Hoch!« Und nun antwortete es auch schon aus allen Zellenfenstern rundherum, von unten bis oben, von links

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