Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
bis rechts, kreuz und quer, das ganze Haus schrie: »Hoch, Levine-Nissen!« Drunten im Hof knackte es. Alles drängte sich an die Fenster. Grelles Kommandieren drang von unten herauf.
    »Maul halten! Weg vom Fenster! Weg! Still mit dem Spektakel da droben! Weg, weg!« gellten Soldatenstimmen, und plötzlich knallten etliche Schüsse herauf, daß die am Fenster wie weggeschlagen in die Zelle zurückflogen. Einige Augenblicke war es still, dann schimpfte es aus allen Zellen: »Sauhunde! Dreckschlawiner, windige! Am Arsch leckt's uns!«
    »Ich-ich hab's gesagt, ich hab's gesagt, jetzt geht's uns schlecht!« jammerte der Sportkostümier, aber keiner hörte auf ihn. Immer wieder rannten Wütende ans Fenster und fluchten hinunter. Eine erbitterte Kühnheit war in alle gekommen, sogar die Schieber und der ängstliche Redakteur wetterten.
    Und weil es schon so war, fing ich an mit einigen, die um mich waren, die Marseillaise zu singen. Immer mehr fielen ein, die Zelle sang und wieder sang das ganze Haus, es war bloß schade, daß die meisten nur einen Vers wußten.
    »Ruhe! Ruhe, Bande!« schrillte es schon wieder im Hof drunten. Wir stimmten die Internationale an. »Aufhören! Maul halten da droben!« drohte es noch einmal.
    »An Dreck und a Photographie!« johlte einer hinunter, und von allen Seiten erscholl Gelächter.
    »Und jetzt singen wir das schöne Lied: Schmiert die Guillotine!« sagte ich mutig, und weil es keiner kannte, sagte ich eifrig die Verse auf, zu jedem ging ich und lernte ihn an.
    »Also, also! Jetzt geht's an, jetzt, also!« schrie ich und schwang belustigt wie taktschlagend meine Arme. »Schmiert die Guillotine! Schmiert die Guillotine!« Alle waren dabei. Es dröhnte förmlich. Auf einmal brachen wir alle ab. Die am Fenster warnten hastig: »Jetzt kommen's!«
    »Um Gottes willen, wir sind verloren!« wimmerte der Sportmensch und lehnte sich wachsbleich an die Wand. Wir drängten uns wie gewöhnlich aneinander vorüber und redeten gleichgültig.
    »Ja, ja, kommen schon! Horch! Horch!« rief wer von der Türe her. Wir lauschten. Drunten hörten wir Lärm und Zellentürenschlagen. Schwere Stiefeltritte kamen über die Steintreppen herauf.
    »Keiner hat gesungen!« rief einer halblaut. »Wer was sagt, ist hin!« Jeder verstand es. Die Tür ging auf, und ein Leutnant mit dem Revolver und einer Hundspeitsche trampelte mit drei Soldaten herein.
    »Wer hat hier gesungen!? Hier war's! Antwort!« fragte er schneidend. Keine Antwort. Stumm blickten wir alle auf ihn. Er fuchtelte förmlich schlaggierig mit der Hundepeitsche.
»Hier war's! Wer gesungen hat?!«
Stumm blieb es.
»Krieg' ich Antwort oder nicht!« drohte er.
    »Hier hat keiner gesungen ... Da hinten weinen zwei«, erwiderte ihm endlich ein hünenhafter, auffallend breitschulteriger Arbeiter ruhig, und deutlich konnte man hören, wie die meisten aufatmeten. Der Offizier blieb einige Augenblicke in diesem dumpfen Schweigen stehen, machte eine rasche Kehrtbewegung, drehte noch einmal den Kopf herum und rief schnarrend: »Na wartet nur, ihr Kerle! Ihr kommt alle noch an die Wand!« Es wirkte aber nicht. Sporenklirrend verließ der Mann mit seinen Soldaten die Zelle. Wir warteten eine Weile stumm, und jeder hatte ein gleichmütiges Gesicht.
    Der Redakteur sagte endlich: »Das werde ich mir mal merken.« Dann fingen auch wir wieder zu reden an. Anfangs war es eigentlich ganz unterhaltlich hier, nur die Nächte sollten nicht gewesen sein, und wenn man beim Tag durch die Gitterfenster zum schönen, blauen Himmel hinauf schaute, wurde man mürrisch und ungeduldig. Vier bis fünf Tage war es wie ein Warten, allmählich aber fing die Zeit an, sich unerträglich zu dehnen. Es gab Stunden, da war jeder unzugänglich und brummig. Die Angehörigen durften jetzt das Essen bringen und zum Türloch hineinreichen. Das Fräulein kam fast jeden Tag, wir wechselten etliche hastige Worte, und Schluß war es wieder. Einmal erschien auch meine Frau und jammerte mir vor. Ich konnte nichts darauf sagen und war froh, daß der Wärter nur etliche Minuten duldete.
    Nach einer Woche kam ich zum Verhör. In einer Stube, wo vor jedem schreibenden Ausfrager ein Häftling seine Angaben zu machen hatte, wurden meine Personalien aufgenommen. Dann fragte mich der kleine, dicke Kommissar: »Haben Sie was anzugeben?« »Das wollt' ich eben Sie fragen«, sagte ich frech darauf. »Was?« frug der Polizist scharf.
    »Ja, ich wollt' eben Sie fragen, was Sie über mich anzugeben haben«,

Weitere Kostenlose Bücher