Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
schnappen. Eine buntgemischte Gesellschaft, hauptsächlich Arbeiter, einige Kellner und Schieber, ein Herr in hellem Sportanzug und ein bebrillter Redakteur, umgab mich.
    »Ah, auch unschuldig?« fragte ein kecker Arbeiter ironisch, und alle lachten. Ich lachte ebenso.
    »Geschoben?« erkundigte sich der eine Kellner. Qualm, Schweißgeruch, Gestank herrschten drückend. Hinten auf dem Klosett saß immerfort ein alter, vollbärtiger Arbeiter, graunzte, drückte und klagte über seine schmerzenden Hämorrhoiden. Einige hockten in kleingepferchtem Kreis in einer Pritschenecke und spielten lärmend Tarock. Viele pfiffen, sangen, unterhielten sich, und es gab wieder welche, die einfach stumm und leer vor sich hinstarrten. Nachdem ich endlich die Situation ein wenig erfaßt hatte, wurde mir leichter. Wenigstens keine Einzelzelle, wenigstens unter einem Haufen und immer kleine Abwechslungen, dachte ich ruhig. Das Anfreunden ging schnell. Ich fragte herum und erfuhr fast stets das gleiche. »Wegen roter Umtriebe«, war die immer gleiche, gelassene Antwort. Keinem lag was dran. An das Morgen dachte niemand, jeder fügte sich, so gut es ging, ins Ganze. Von Zeit zu Zeit ging immer wieder die Türe auf, und ein Neuverhafteter wurde hereingeschoben.
    »Ja, Herrgott, wir haben ja sowieso keinen Platz mehr!« schimpften die meisten.
    »Wird schon leerer«, meinte der Wärter und zog die Tür wieder zu. »Ja, wenn wieder ein Dutzend erschossen werden!« schrien die meisten höhnisch. Und dann stand der Neuling da wie ein begossener Pudel, und alles lachte galgenfroh: »Ah, auch unschuldig, was?« Sagte er ja und wollte beteuern, so wurde das Gelächter noch stärker. Gutmütige Spöttereien mischten sich ineinander: »Jaja, mir sind ja alle unschuldig, Kamerad! Aber da brauchst überhaupt gar nichts sagen! Da geht's sehr einfach! Ob du was gemacht hast oder nicht, derschossen wirst doch! Am gescheitesten ist's schon, du sagst gleich, du hast zwanzig Weiße niederkartätscht.«
    »Schmier' eini!« kam es aus der Tarockecke und »Ah, haut schon! An Herzzehna! Uens gehört's!« sekundierte der andere Spieler. In wenigen Minuten war so ein Neugekommener sicher und gehörte zu uns. Voll und immer voller wurde es. Wie die Heringe standen wir aneinander, heiß und heißer wurde es, Läuse und Flöhe, Wanzen und Russen gab es. Ich schob mich hin und her, zog mich an den Gitterstäben des Fensters hoch und blickte in den Polizeihof hinunter. Da standen rundherum Gewehrpyramiden und Abteilungen von Soldaten, Maschinengewehre und Bagagewagen. Auch an den anderen gegenüberliegenden Zellenfenstern sah ich hochgereckte Köpfe, es schrie herüber, es winkte. Plötzlich packte drunten ein Soldat ein Gewehr und schrie anlegend herauf: »Weg da! Weg, ihr Hunde!« Dann wurden die Fenster wieder für eine kurze Zeit leer. So vergingen die Stunden. Dunkler wurde es, Licht kam in der Decke, zwei Wärter brachten dünne Suppe und je ein Kommißbrot. »Ja, wie ist's denn da mit dem Schlafen?« erkundigte ich mich. »Schlafen?« lachte ein Kamerad. »Jaja, das ist sehr einfach, du hast ja deine zwei gesunden Füß' noch ... Na also ... Da stehst einmal auf dem einen, dann wieder auf dem andern, und hie und da kannst du auch Glück haben und kommst auf die Pritsche.«
    Dann kam also die Schlafenszeit. Wirklich lag alles berggleich übereinander auf den Pritschen und darunter. Der Rest versuchte stehend, an die Wand gedrückt oder aneinanderlehnend, zu schlafen. Das ging aber nie sehr lange. Auf einmal fing das Rutschen an. Alles, was stand, sackte schief hin, rührte sich wieder und tappte schlaftrunken herum. Flüche knurrten, Gemurmle fing an, Unterhaltungen begannen und brachen ermattet wieder ab. Schrecklich langsam verliefen diese dunklen Stunden. Die Augen taten weh, der Körper juckte, man scharrte und stieß dabei den Nebenmann. Der murrte ein wenig und schnaufte schwer auf. Aus einer Ecke stöhnte ein Lungenkranker, der nachmittags eingeliefert worden war, keuchte, hustete wie sich erbrechend und spuckte. Dort träumte einer laut und schlug herum. Die neben und auf ihm Liegenden wachten auf, packten ihn und versuchten sich anders zu placieren. Um den Abort stritten einige, das Wasser rauschte, irgendwer schimpfte und verlangte Ruhe. Endlich, endlich wurde es langsam hell, und fahl fiel das Licht über den wüsten Schlafberg, der allgemach wieder lebendiger wurde. Eine Blechschale voll schwarzen Kaffees gab es wieder, Kommißbrot, truppweise

Weitere Kostenlose Bücher