Wir sind Gefangene
wiederholte ich versteckt boshaft.
»Also Sie haben nichts anzugeben?« »Nein.«
Wieder fragte der Mann: »Haben Sie Entlastungszeugen?« »Ja«, sagte ich gedehnt und besann mich ein wenig, »wenn ich keine Be lastung hab', dann brauch' ich doch keine Ent lastungszeugen.« »Also Sie haben einfach gar nichts anzugeben?« fragte der Kommissar kurz und griesgrämig eilsam. »Nein.« Er schrieb. Ich mußte ein Protokoll unterschreiben.
Als ich wieder in die Zelle kam, waren neue Leute gekommen. Lauter Arbeiter. Einer stand traurig immer unterm Fenster und schaute vor sich hin. Auf Fragen antwortete er: »Ruinieren wollen sie mich ... Ich war im Luitpold-gymnasium und hab' meine Löhnung holen wollen ... Jetzt bin ich Geiselmörder.«
Weiter sagte er fast nichts. Er war ruhig und bedrückt. In vier Tagen war er grauhaarig. Später hat man ihn zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt.
Mit ihm hatte man einen mittelgroßen, leicht angefetteten Bäcker eingeliefert. Er war immer guter Dinge und erzählte frei heraus, daß er die Erschießung gesehen hätte, einer habe ihm das Gewehr gegeben, und er habe es ihm gehalten, weil er austreten mußte. Später hat man ihn zum Tode verurteilt und erschossen. Pürzer hieß er. Dienstwillig war er jedem gegenüber, machte derbe Spaße und hatte etwas von einem gutmütigen Tier. Einmal schrie der Wärter zum Türloch herein: »Kastenberger!« Der Arbeiter, welcher in den ersten Tagen so hitzig nach seiner Frau verlangt hatte, schnellte von seiner Pritsche auf und rannte ans Loch.
»Ihre Frau ist gestorben!« rief der Wärter gleichgültig kurz und ging. Kastenberger blieb etliche Augenblicke stocksteif stehen und glotzte geradeaus. Jeder, der um ihn stand, wartete auf einen neuen Tobsuchtsanfall, aber der Mann knickte nur ein wenig zusammen, schnaufte und kroch wieder auf seine Liegestatt. Er drehte sich zur Wand und sagte nicht ein Sterbenswort. Nachts plötzlich fing in dieser Ecke ein Geschrei an, und wir hörten dumpfe Aufschläge und ein fast röchelndes Keuchen. Kastenberger schlug seinen Kopf unausgesetzt mit aller Wucht an die Wand, und als ihn einige überwältigten, biß er einem fast den Finger ab. Es gab einen bedrohlichen Tumult. Wir schlugen Lärm und meldeten dem Wärter. Der ging wieder. Erst nach fast einer Stunde war es wieder ruhig. Am andern Tag lag Kastenberger mit einer schweren Verletzung am Kopf, blutüberströmt auf dem Rücken. Er rührte sich nicht, als man ihn anredete, er ließ sich das dreckige, angenäßte Sacktuch drüberlegen, sich abputzen. Er schnaufte nur ab und zu schwer auf. Erst zwei Tage darauf wurde er weggebracht.
Das Fräulein rief einmal durch das Türloch: »Der Rechtsanwalt sagt, man wird dich wahrscheinlich in Schutzhaft nehmen.«
Am andern Tag erzählte ich ihr: »Du, ich komme in Schutzhaft.« »Du? ... Wer sagt's denn?«
»Niemand, aber ich komme in Schutzhaft«, antwortete ich abermals. Das Fräulein bekam ein ängstliches, trauriges Gesicht und rannte von dannen. Ich faßte mich leicht am Kopf. Ich merkte, es fing eine schleppende Blödheit an. Ich konnte nichts mehr recht auseinanderhalten. Ich lehnte mich an die Wand und schloß die Augen. Es war immer ein ewiggleiches Geräusch um mich. Jaso, jaso, jaja, jaja, ich war im Gefängnis, jaja, ja, das waren ja nur die Gespräche meiner Genossen, jaja, jaja, mhm, mhm, draußen war sonniger Himmel, jaja, mhm, auf der Polizei, jaja. Ich kam wieder mehr zu mir.
Diese eigentümlichen Zustände stellten sich immer wieder ein, immer wieder. Lahm und zerrüttet, unsäglich schlafmüd' döste ich im Ungewissen dahin. Ich erlistete endlich einen Platz auf einer Pritsche und versank gleichsam in eine völlig leere, schwarze Dunkelheit. Ich schlief wie tot.
»Graf! Graf! Auf! Auf da! Raus!« rüttelte mich ein Genosse wach. Wie bewußtlos tappte ich einem Rudel Menschen nach, dann standen wir drunten im Hof vor einem Polizeiwagen, und jetzt erst, als die frische Luft auf mich einströmte, hellte sich's auf in meinem Hirn. Wir wurden in das alte Militärgefängnis in der Corneliusstraße gefahren. Dort kam ich mit zwei Genossen in eine kleine Zelle mit einer Pritsche.
»Gott sei Dank, hier kann man liegen und schnaufen«, meinte der ältere von uns. »Wir machen es so, jeder darf eine Nacht auf der Pritsche liegen«, einigten wir uns. Da ertönten Schritte draußen, das Schloß knarrte. Ein Soldat tauchte auf und rief meinen Namen. »Rauskommen«, sagte er, und ich folgte.
»Sie sind
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