Wir sind Gefangene
Augenblick ausließ und abermals graunzte, drückte ich vorsichtig meine beiden Handflächen auf den taunassen Boden, stemmte mich hastig auf und lief wie ein Verfolgter über die Wiesen, der Stadt zu. Mein Herz klopfte und mein Blut jagte.
Auf den Straßen war erster Morgen, dicker Nebel lag zwischen den Häusern, die Trambahnen fuhren schon, die Straßenfeger kehrten gleichmäßig, und da und dort wurden Rolläden aufgezogen. Die Turmuhren schlugen sieben. Ich ging langsam, um mich zu beruhigen, und jetzt erst dachte ich wieder an Maurus und das Kommende. Ich wartete noch, bis ich den ersten offenen Bäckerladen entdeckte, kaufte frische Semmeln und kam ganz so wie ein müder Nachtarbeiter auf meinem Zimmer an. »Mensch, war das heut' wieder ein Schuften«, erzählte ich scheinheilig und tat sehr schläfrig. Mein Bruder stand auf und ich legte mich ins Bett. »Ich geh' zur Konditorstellenvermittlung und komm' am Nachmittag wieder«, sagte Maurus und ging weg. Ich atmete auf wie ein Erlöster. Schlimmste Unruhe peinigte mich. Alles wirbelte in mir. Ich sprang aus dem Bett, kleidete mich an, ging auf und ab und fand mich nicht zurecht.
Er muß weg! Er muß fort, sonst bin ich verloren! Er muß fort! surrte es immerzu durch meinen Kopf. Ganz verzweifelt war ich zuletzt. Plötzlich kam ich auf einen ganz sonderbaren Gedanken. Ich blieb stehen, dachte ihn noch einmal, noch einmal - und schrieb an meinen Todfeind Max nach Hause einen Brief: »Lieber Max! Ich habe hier eine schöne Stelle in der Hofbäckerei Seidl und verdiene gut. Ich bin auch bereits beim Katholischen Gesellenverein beigetreten und er gefällt mir. Ich möchte Dich bitten, daß Du dem Maurus schreibst, er soll sofort heimkommen. Er ist gestern von Kassel zu mir gekommen, hat kein Geld und keine Stelle und ist sehr heruntergekommen. Auch nicht gesund ist er. Ich kann mich nicht um ihn kümmern, er muß heim. Hier wird er auch nicht so schnell eine Stelle bekommen. Gruß Oskar.«
Als ich vom Briefkasten zurück kam, war ich mir selber widerlich. Ich schämte mich zuinnerst. Am liebsten hätte ich mich anspeien, verprügeln mögen, den Schädel einrennen. Ich dachte furchtsam an die nächste Zukunft, nichts als Sackgassen sah ich vor mir. Ganz verwirrt legte ich mich wieder zu Bett und erwachte erst, als Maurus vor mir stand.
»Mensch, ich hab' schon eine Stelle und vorläufig wohn' ich in der Sendlinger Straße ... Es ist eine Schlafstelle, aber es geht einstweilen schon«, erzählte er und war sehr erfreut darüber. Mir gab es einen Stich.
»Morgen geht's an mit der Arbeit!« sagte er aufgefrischt.
»Aber heute wollen wir noch einmal gemütlich sein, geh' weiter!« Ich stand auf, wusch mich, zog mich an und wir gingen spazieren. Wir sprachen von Büchern und Dichtern und wurden ganz warm zueinander, Zukunftspläne machten wir und lachten viel. Wir gingen in ein Kaffeehaus und verabschiedeten uns so gegen sieben Uhr abends.
»Also am Sonntagnachmittag wieder«, sagte mein Bruder. Ich nickte und ging. Im Gegensatz zu mir war Maurus sehr sparsam, ja beinahe knauserig. Er gönnte sich nicht das geringste, kaufte höchstens einmal ein Reclambuch und legte alles Geld beiseite. Trotz seines angeborenen Mißtrauens brachte er mir jeden Sonntag sein schwererarbeitetes Wochengeld zum »Aufbewahren« und ich schrieb die Summe in ein Notizbuch. Jedesmal fragte er: »Wieviel haben wir
jetzt schon?« und ich zeigte ihm das Buch.
Er blieb aber nicht lange in München. Max schrieb ihm tatsächlich, er müßte sofort heimkommen, es sei viel Arbeit da. Er war verwundert und ich tat ebenso. Ich riet zu und ab, wie es gerade kam. Schließlich kündigte Maurus und fuhr heim. Er versprach auch von zu Hause alles Geld, das er zusammenbrächte, zu schicken und sein romantischer Entschluß war fest gefaßt: Nach einer ausreichenden Summe gehen wir miteinander los.
»Ja« sagte ich und wieder »Ja«. Die erste Zeit hielt ich das Geld fest zusammen. Aber Frau Ulitsch kam um die Miete, die Diktatstunden mußten bezahlt werden, kein Eßpaket kam mehr. Ich fing langsam an, das Geld zu verbrauchen.
Anfangs mit schweren Gewissensbissen, allmählich aber unbedenklich, und wenn es schon einmal so weit ist, geht es weiter. Oft und oft verfluchte ich das Geld, das ganze Geld und das unglückselige Zusammenkommen mit Maurus. Auf und davon wollte ich dann wieder, zu Theres wollte ich gehen und sie um Rat und Hilfe bitten, ließ aber alles laufen wie es lief. Ich verbrachte faul
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