Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
die Tage und - dichtete.
    Ach was, sagte ich mir ab und zu, vorläufig weiß er ja noch nichts. Es wird schon werden. Du nimmst einfach eine Arbeit und machst heimlich wieder alles gut. Ich tat aber nichts dergleichen und machte nicht die geringsten Anstalten, mir eine Stelle zu suchen. Willenlos zerrann mir das Geld.
    Oft dann wieder befiel mich eine wahre Rachsucht gegen mich selber. »Du Dieb! Du Verbrecher! Du ganz schäbiger Schuft!« knurrte ich in mir, und um mich von meinen nagenden Gewissensbissen etwas zu erleichtern, ging ich plötzlich auf der Straße auf einen Bettler zu und gab ihm fünf Mark, bezahlte vollkommen fremden Arbeitern in einer Wirtschaft Bier oder warf in den Opferstock einer Kirche einige Mark.
    »Er erschlägt dich ja doch, ist ja alles gleich, ganz gleich!« sagte ich mir. »Verloren bist du jetzt schon! Ist alles ganz gleich!«
    Hin und wieder bäumte sich ein dummdreister Trotz in mir. Ich traf Theres und prahlte, wie gut es mir ginge. Ich sagte nichts von Maurus.
    »Ich bin ganz einfach ein Genie! Ich bin ein Dichter, fertig!« rechtfertigte ich mich ihr gegenüber, wenn sie wieder mit dem Arbeitnehmen anfing. »Ich brauch' euch alle nicht!«
    Ich redete mich selber in eine Wut über meine Verkanntheit hinein und lebte gleichgültig. Zwecklose Tage verrannen, Wochen um Wochen. Damals empfand ich zum erstenmal meinen verworrenen, schäbigen Charakter. Maurus schickte weniger. Ich hatte oft nicht einen roten Heller. Ich war froh darüber, und wenn ich hungerte, empfand ich das als eine Art gerechte Strafe. Es wurde Herbst und Maurus sandte gar nichts mehr. In dumpfer Angst verbrachte ich die Zeit. Ich las viel, ich schrieb und dichtete, aber eigentlich wartete ich bloß auf die Katastrophe.

VII
AUF DER SUCHE

    Eine illustrierte Zeitung brachte unerwartet einmal acht Aphorismen von mir und bezahlte fünf Mark. Ich war wie betrunken. Hoffnungen stiegen auf. Pläne wurden wild. Ich schrieb sofort eine Anzahl Gedankensplitter, Aphorismen, Gedichte und schickte sie an alle möglichen Redaktionen. Nichts wurde genommen. Auch das Essen wurde jetzt immer knapper, Maurus' Geld war völlig dahin. Theres erklärte offene Feindschaft. Ich schrieb, ich schrieb. Ich muß etwas auf Lager haben, dachte ich, wenn die Redaktionen um weitere Einsendungen bitten. Auswahl, Stoff!
    Nächte hindurch schrieb ich. Unruhige Tage voll Verzweiflung und Hunger. Und voll Verlassensein. Ich schrieb. Eine ungeheure Fremde stieg in mir auf. Sobald ich Theres traf, fing das Gejammer an: »Du bist doch ein junger, gesunder Mensch! Arbeiten müssen wir alle.« Ich ging allein. Keinen Menschen kannte ich, keine Wirtschaft besuchte ich. Scheu durchstreifte ich die Warenhäuser, die Museen, Ausstellungen, saß auf Anlagenbänken und wartete auf einen Menschen. Aber niemand sprach mit mir. Also arbeiten.
    Und wieder ging ich auf mein Zimmer und schrieb. Unmögliche Aufsätze häuften sich, Skizzen, Betrachtungen, ein großes Buch über Erziehung wollte ich schreiben. Dann wieder schrieb ich Briefe an namhafte Schriftsteller, jammerte. Maggiwürfel, Tee, Brot! Aber man muß zäh sein und aushalten, dachte ich.
    Ich las Tolstoj und all' die Bücher, die mir Nanndl heimlich nachgeschickt hatte. Der Magen knurrte. Ich deklamierte laut im Zimmer und ging auf und ab. Arbeiten! Arbeiten! -
    Unter mir war eine Großbuchbinderei. Arbeiten! Ja, was denn? Was denn? Etwa Bäcker? Das ging auf keinen Fall. Schon wegen der Frau Ulitsch nicht, und außerdem hatte ich noch nicht einmal die Gesellenprüfung gemacht, mußte also als Lehrling wo eintreten. Nein, das ging nicht für einen angehenden Schriftsteller.
    Jeden Tag gingen die Buchbinder und Hefterinnen aus dem surrenden Haus, lachten und waren guter Dinge. Sie waren geborgen. Sie hatten was gelernt, verdienten Geld. Was tun? Was tun? Wenn ich wenigstens einen Menschen fände, der mich irgendwie in die Hand nehmen wollte! -
    Neben mir wohnte ein Buchbinder namens Schmocker. Er kam jeden Abend vom Geschäft nach Hause, kochte Kakao, trällerte ein Lied und ging hie und da wieder weg. Ich stellte es so an, daß ich mit ihm ins Gespräch kam. Ich klopfte bei ihm und erbat mir die Zeitung. Er öffnete die Tür, grüßte freundlich und lächelte mich einnehmend an: »O bitte!«
    »Man möchte doch wissen, was es für Neuigkeiten gibt«, sagte ich ganz gewandt, daß ich mich selber wunderte. »Jaja, für Sie als Schriftsteller ist so was doch unbedingt notwendig«, redete der

Weitere Kostenlose Bücher